Text und Fotos: Johanna Brand
Lecce – Weingärten, Artischockenfelder gespickt mit unzähligen wilden Margeriten, die sich mit ihrem kräftigen Gelb von der roten Erde absetzen und Olivenhaine mit stattlichen uralten Bäumen von imposanter Größe: Neben den Städten, allen voran Lecce, das
„barocke Florenz des Südens“, und natürlich den endlosen wunderschönen Stränden, die im Sommer zum Badeurlaub einladen, gibt es hier auch im Landesinneren und in den unzähligen kleinen Dörfern viel zu entdecken. Über die Felder ziehen sich kleine weiße Steinmauern. Immer wieder sieht man auch etwa 3 Meter hohe viereckige Häuschen, die mit dem gleichen Trockenbauverfahren hergestellt wurden; ohne Mörtel oder sonstiges Füllmaterial wurde hier Stein auf Stein geschichtet um den auf den Feldern arbeitenden Bauern einen Schutz gegen die unerbittliche Mittagssonne und gelegentlich für die Nacht zu bieten. Zwar werden diese pagghiare heute nur noch als Abstellplatz für Arbeitsgeräte genutzt, doch haben sie in ihrer Einfachheit über die Jahrhunderte hinweg Wind und Wetter getrotzt.
Lecce, Otranto oder Galatina sind ohne Zweifel sehr sehenswert. Die kleineren weiß gekalkten Wohnhäuser bestehen in ihrer schlichten Schönheit mühelos neben den eindrucksvollen Barockbauten mit oft geradezu übertrieben vielen und detaillierten Verzierungen. Man darf sich die barocken Kirchenräume und –fassaden Lecces ursprünglich bunt und farbenfroh vorstellen, von dieser Eigenart ist heute allerdings leider nirgends mehr etwas zu sehen, die vorherrschende Farbe ist so das strahlend helle Weiß. Die Städte sind insgesamt von überschaubarer Größe und bieten ihren Besuchern die Möglichkeit, ohne Reiseführer und konkretes Ziel durch die Straßen zu schlendern und den Charme des Südens auf sich wirken zu lassen. Alles ist verwinkelt, schönste Ansichten eröffnen sich unverhofft, es gibt keine klaren Sichtachsen, alles scheint ganz zufällig. Der große Kunstkritiker Cesare Brandi nannte Lecce einmal „auf spontanste Art und Weise ‚szenografisch’“; ohne dass es geplant wäre wirkt das gesamte Stadtbild stilvoll konstruiert und drapiert. Obwohl es in den Städten lebendig zugeht und sie ein breites Spektrum an Unterhaltung und Aktivitäten bieten, wirken sie nie chaotisch und überfüllt, sondern strahlen Ruhe und Gelassenheit aus. Wen es dennoch eher aufs Land zieht, der hat im Salento unzählige Möglichkeiten, auch hier das Leben voll und ganz zu genießen. Schon die Unterkunft kann zum Highlight des Urlaubs werden, wenn man sich für eine der zahlreichen masserie entscheidet, alte befestigte Gutshöfe, die in vielen Fällen in Hotels umgebaut wurden und den Charme der herrschaftlichen Landgute beibehalten haben. Da es sich meist um Familienbetriebe handelt, ist die Atmosphäre entsprechend intim und gemütlich, weit entfernt vom Massentourismus lässt es sich zwischen Olivenhainen und großen Gemüsegärten relaxen und die Ruhe genießen. Zum Abendessen werden in der Regel traditionelle Speisen und Wein aus der Gegend serviert, in einigen masserie werden sogar Kochkurse angeboten.Im Laufe der Geschichte haben verschiedenste Völker im Salento Spuren hinterlassen, seien es Griechen, Römer, Spanier oder Araber. Ihre Einflüsse machen sich in Sprache und Kultur bemerkbar, sowie in der Gastronomie und natürlich der Architektur der Gegend. Immer wieder fühlt man sich so bei der Besichtigung einer einzigen Kirche wie auf einer Zeitreise, da verschiedenste Bau- und Stilelemente neben-, über- und miteinander zu finden sind. Diese Mischung aber wirkt nie fehl am Platz oder übertrieben, sondern gibt den sakralen und profanen Bauwerken des Salento ihren ganz besonderen Charme. Von besonderer Imposanz sind zweifelsohne die Kathedralen von Lecce und Otranto. Ist die erste ein Paradebeispiel des barocco leccese mit ihrer großzügig verzierten Fassade ganz im Thema des Triumphs des Kreuzes und dem prachtvollen Innenraum, so beeindruckt die zweite vor allem mit einem riesigen Bodenmosaik aus dem Jahr 1166, das aus 600.000 Steinchen hergestellt den Baum des Lebens darstellt.
Es gibt allein in Lecce über 40 Kirchen, jede für sich einzigartig, Santa Chiara im alten Stadtzentrum ist sicher eine der etwas weniger bekannten. Wenn man eintritt, fällt einem tatsächlich zunächst nichts Besonderes auf und man muss erst den Blick nach oben wenden und etwas genauer hinschauen um zu entdecken, dass die Decke komplett aus cartapesta, einer Art Pappmaché mit langer Tradition im Salento, gemacht ist. Die zukunftsgewandten und aufgeschlossenen Salentiner nämlich pflegen auch mit Liebe ihre Traditionen. Es hat etwas sehr Angenehmes, durch die Straßen zu schlendern und neben Geschäften mit neuster Mode oder Touristenartikeln kleine Handwerksbetriebe zu finden, in welchen die cartapesta-Herstellung mit Liebe und Sorgfalt fortgeführt wird. Wagt man einen genaueren Blick und beginnt, sich mit den Leuten zu unterhalten, so erfährt man, dass sich zunehmend auch junge Leute für diesen Jahrhunderte alten Brauch interessieren. Neben den traditionellen Krippen- und Heiligenfiguren stellen die Künstler inzwischen auch Schmuck und Einrichtungsgegenstände aus diesem einfachen aber vielfältig einsetzbaren Material her. So zum Beispiel Francesca Carallo, die ihren kleinen Laden im Zentrum der Altstadt von Lecce gern für Neugierige öffnet und sich viel Zeit nimmt, um ihre Kunstwerke vorzuführen.
Auch ein weiteres ganz typisch salentinisches Element, die berühmte pietra leccese, erfährt seit einiger Zeit eine neue Aufwertung. Der weiche sandfarbene Stein, aus dem die meisten Bauwerke der Gegend gemacht sind, lässt sich leicht verarbeiten und ist in schier unendlicher Quantität in den Steinbrüchen des Salento verfügbar. Junge Designer wie Renzo Buttazzo aus San Cesario di Lecce haben so begonnen, aus diesem Material Möbelstücke wie Lampen und Regalsysteme, Kunst- und Ziergegenstände herzustellen. Begeistert erzählt er, dass seine Kunstwerke bereits in alle Welt verkauft werden und der kleine feine Stein aus dem Salento von den internationalen Käufern sehr geschätzt wird. Tatsächlich sind seine Kreationen wunderschön und es ist schwer, zu widerstehen und nicht doch eine der hübschen Lampen zu kaufen, und sich ein kleines Stück Salento mit nach Hause zu nehmen.
Info: Einmal im Salento sollte man es ich nicht nehmen lassen, eines der vielen Weingüter zu besuchen und den köstlichen salentinischen Wein zu probieren oder sich über die Produktion des apulischen Olivenöls zu informieren. Stolz auf die lange Tradition und den hohen Qualitätsstandard sind die Hersteller und Verkäufer dieser beiden „Lebenssäfte“ der Gegend gerne bereit, den Besucher herumzuführen und neben viel praktischer Information auch kleine Anekdoten weiterzugeben. Man fühlt sich schnell zu Hause in den gemütlichen Weinstuben oder den Museen mit familiärer Atmosphäre, die der Ölherstellung gewidmet sind. Es lohnt sich, eine der alten unterirdischen Produktionsstätten, sogenannten frantoi, zu besichtigen, die in der Gegend um Lecce noch zahlreich zu finden sind. Bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde hier das Öl hergestellt, auf engstem Raum arbeiteten über Monate bis zu 40 Personen und ihre Esel unter der Erde. Man muss sich vorstellen, dass sie die frantoi erst nach der Olivensaison wieder verließen. Steigt man hinab in einen solchen Oliven-Keller, so kann man sich gut vorstellen, dass die Bedingungen hier ideal für die Produktion des Öls waren; unter der Erde blieb es kühl und es kam nur wenig Licht herein, doch Monate dort zu verbringen bleibt eine unheimliche Vorstellung. Ein gut erhaltenes und begehbares frantoio befindet sich zum Beispiel in Squinzano (15km von Lecce entfernt), angeschlossen ist ein hübsches kleines Museum über Ölherstellung und die Volkstraditionen des Stifts von Santa Maria di Cerrate. Museo delle tradizioni popolari di Santa Maria di Cerrate
Via Torre Rinalda, S Squinzano – Casalabate
Francesca Carallo www.francescacarallo.it Petre di Renzo Buttazzo
www.petre.it