In Italien, insbesondere im Süden, haben die Prozessionen der Karwoche eine lange Tradition und finden seit Jahrhunderten statt. Die Bewohner der Städte und Dörfer sind die Protagonisten von Riten, die nach alten Choreographien jedes Jahr stattfinden. Es heißt, dass 1944 amerikanische Panzerfahrzeuge vor einer Karfreitagsprozession in Somma Vesuviana anhielten. Die Coronavirus-Epidemie von 2020 hat das bewirkt, was der Zweite Weltkrieg nicht geschafft hat: Alle öffentlichen religiösen Zeremonien wurden abgesagt.
Wir veröffentlichen erneut unseren Artikel von 2019 über die “Prozession der Geheimnisse” von Gallipoli.
Text und Fotos: Elvira D’Ippoliti
Gallipoli – Ein Kind spielt mit einer Plastiktrommel. Die Sonne lässt die Farben der Kirchenfassaden grell erscheinen, während die Zuschauer auf die Prozession warten. In Gallipoli (Apulien) beleben emotionsreiche Rituale die Heilige Woche vor Ostern. Schon am Donnerstagabend öffnen sich die Bruderschafts- Kirchen, die sich entlang der alten Stadtmauern direkt vor dem Meer befinden. Die Mitglieder sind Männer, die bei dieser Gelegenheit eine dramatische, meistens schwarze Tunika tragen. Die Köpfe sind hinter einer spitzen Kapuze versteckt. Die Augen erkenne ich aus den zwei Löchern im Stoff. Sobald die Messe in der Basilika zu Ende ist, fangen diese etwas unheimlichen Figuren an, durch die Stadt zu gehen. Am Anfang zu zweit: sie betreten die Kirchen, wo sie das Allerheiligste anbeten. Später fangen die Prozessionen an. Zwei Männer spielen jeweils eine Trompete und zwar mit einer langen, monotonen Melodie und einer Trommel. Es folgen die Mitglieder der Bruderschaften und die Bewohner der Stadt. Ganz Gallipoli ist nun unterwegs. Die Atmosphäre ist ernst, aber die Gelegenheit dämpft nicht den energischen Charakter der Menschen aus Apulien. Gruppen von Leute unterhalten sich (auch, oder insbesondere, innerhalb der Kirchen), man begrüßt sich, die Kinder spielen: Ich habe den Eindruck, dass das Klappern der vermummten Männer dazu dienen sollte, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu haben. Ihr Zweck wird aber nicht immer erreicht.
Terra Italia Bildergalerie: Apulien: Heilige Woche in Gallipoli und Copertino
Dasselbe bemerke ich am nächsten Tag. Es ist Karfreitag: die Prozessionen werden mit Statuen bereichert, die aus den jeweiligen Kirchen stammen. Die Sonne erhellt die tragischen Darstellungen der Kreuzigung Christi. Die Statuen schwanken etwas, aber man geht weiter. Das schwarze Kleid der Mutter Gottes ist ein scharfer Kontrast zum hellblauen Himmel. Ihr Gesicht ist eine Maske des Leidens. Das Licht und die Schatten – unsere menschlichen Schwächen und die göttlichen Fülle, das ewige Kontrast zwischen Leben und Tod. Plötzlich erscheint mir die Prozession in all ihrer Bedeutung. Ich schaue hinauf: Auf einer Hausfassade zeichnet sich im Licht der Umriss eines schönen architektonischen Elements ab, aber auch eine hässliche Antenne. Die Kontraste sind hier echt und werden nicht versteckt. Die Musikkapelle spielt Trauermusik. Alle sind schwarz angezogen und schwitzen unter der schon heißen Frühlingssonne. Ich lasse mich vom Strom der Emotionen tragen. Die Wärme des Klimas spiegelt sich in den Leuten, die mich umringen.
Info:
In Gallipoli ist im Sommer Hochsaison, aber um sich die kleine Stadt, die vom Meer umringt ist, zu genießen, kann man auch andere Jahreszeiten auswählen.
Im Relais Corte Palmieri wohnt man in einem restaurierten Gebäude, wo man die lokale Architektur respektiert hat. Eine Treppe führt zu den Zimmern. Kleine Terrassen und weiße Wände unterstreichen den südlichen Charakter. Von der höchsten Terrasse blickt man auf das Meer
www.relaiscortepalmieri.it