Brenner (TidPress) – Bereits in den Jahren 1956 und 1957, gut zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, hatte ich die glückliche Gelegenheit, zweimal nach Italien zu reisen. Als halbwüchsiger Junge war ich Gast an Bord eines VW-Käfers, der außer mir noch fünf weitere Passagiere in Richtung Süden beförderte – allerdings ohne die bequemen Autobahnen von heute: als Chauffeur meinen Onkel Toni, sodann meine Tante Gretel, meinen Bruder (12 Jahre) und meine beiden Cousins (13 und 8 Jahre). Hinzu kam eine Zeltausrüstung (Dreiecksplanen aus dem letzten Krieg und Decken), Kochutensilien (Spiritusbrenner) und Verpflegung. Die erste Tour führte uns über Lugano nach Italien. Ausgedehntes Sonnenbaden per Luftmatratze auf dem Luganer See verursachte freilich umgehend einen schlimmen Sonnenbrand. Der arme Onkel Toni musste die Nacht sitzend vor dem Zelt verbringen, so sehr schmerzte ihm der verbrannte Rücken.
Campingfreuden in den Nachkriegsjahren |
Tourismus-Pionierinnen (Dongo am Comer See) |
In lebhafter Erinnerung ist mir vor allem die zweite Anreise nach Italien, als wir unterwegs einen Bekannten in der Schweiz besuchten. Zunächst war der Julier, einer der höchsten Alpenpässe, zu bezwingen (2284 m ) – eine Tortur für den PS-schwachen Volkswagen. In St. Moritz, in fast 1.850 m Höhe, diente uns dann unser „Zelt“ für mehrere Tage als Unterkunft. Mangels eines isolierenden Zeltbodens, warmer Schlafsäcke und anderer Annehmlichkeiten einer heutigen Campingreise waren wir bald allesamt kräftig erkältet. Doch welch ein Wunder! Kaum hatten wir den Maloja-Pass (1815 m) hinter uns gebracht und die Grenze nach Italien passiert, waren Husten und Schnupfen wie weggeblasen.
Venedig: Auf dem Canal Grande |
Venedig: Ponte della Canonica Im Hintergrund: Seufzerbrücke |
Hier ist eine Erläuterung zum Foto mit den „Tourismus-Pionierinnen“ angebracht: Es entstand in Dongo an der Piazza Giulio Paracchini, die einem in den letzten Kriegstagen gefallenen Widerstandskämpfer aus Dongo gewidmet ist. Der am Comer See gelegene Ort ist in die Geschichte eingegangen, wovon uns auch mein Onkel berichtete: Benito Mussolini, der sich mit Gefolgsleuten einer deutschen Militärkolonne angeschlossen hatte, vermutlich, um in die Schweiz entkommen, wurde in Dongo von italienischen Partisanen erkannt und am 28. April 1945 unter nicht vollständig geklärten Umständen zusammen mit seiner Geliebten Claretta Petacci erschossen.
In welche Städte sind wir auf diesen beiden Reisen gekommen? Mailand (Piazza del Duomo) und Genua (Besichtigung eines britischen Kriegsschiffs). Auf der bergigen Küstenstraße, der Via Aurelia, ging es von dort nach La Spezia und Pisa, natürlich zur Piazza dei Miracoli mit dem „Schiefen Turm“. In Florenz waren noch Pferdegespanne in der Stadt zu sehen. Weitere Attraktionen waren Rimini, San Marino, Ravenna, Grado und Venedig. Da Campingplätze damals noch eine Rarität waren, zelteten wir „wild“ am Strand oder baten radebrechend die Bauern um die Erlaubnis, auf einer Wiese unser Zelt aufbauen zu dürfen. Bei einem Aufenthalt in Grado campierten wir auf dem Rasen vor einem herrschaftlichen Landsitz.
Auf der Rückreise Richtung Brenner gab es zweimal ein Abschiedsessen im gleichen Restaurant am Gardasee. Das erste Mal wurden leckere Feigen mit einer würzigen Fleischfüllung serviert, eine Köstlichkeit, die ich gerne wieder einmal essen möchte. Aber schon ein Jahr später, vielleicht, weil inzwischen schon zu viele deutsche Touristen ins Land geströmt waren, gab es nur noch Brathähnchen minderer Qualität. Der Grenzübertritt nach Deutschland war damals eine umständliche Prozedur. Weil die Grenzbeamten gesehen hatten, dass sich eine angebrochene Tafel Schokolade im Auto befand (die war „erlaubt“), musste der ganze Wagen ausgeräumt werden. Die „heiße Ware“, eine (1!) Flasche Chianti, war jedoch so gut versteckt, dass sie nicht gefunden werden konnte. Welch große Befriedigung für die Schmuggler!
Fortsetzung folgt
27.11.2010
Fotos: Anton (Toni) Schmidhuber †
Dampfschifffahrt am Hafen von Grado |
Pisa, im Hintergrund: der Schiefe Turm |
Dr. Richard Brütting (www.richard-online.net) ist Herausgeber des Italien-Lexikons. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen italienische Kulturstudien, literaturwissenschaftliche Themen, Literatur- und Fremdsprachendidaktik sowie Seminare und Publikationen zu interkulturellen Fragen. Im Jahre 2000 hat er zusammen mit Dr. Paolo Gianfelici die Presseagentur TidPress gegründet, wo er als Journalist und Übersetzer in der Redaktion tätig ist.
Richard Brütting
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