Text: Cora Ebeling – Fotos: Oliver Blum
Alberobello – In der südöstlichen Provinz von Bari im Itria-Tal liegt Alberobello, die Hauptstadt der Trulli, der einzigartigen Kegelbauten, die einer Märchenlandschaft entsprungen zu sein scheinen.
Historiker haben im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Thesen über den Ursprung des Namens aufgestellt. Von „silva arboris belli“, aus dem Lateinischen übersetzt Wald der Kriegsbäume, da es die Heimat der dickstämmigen Eichen war, bis zu „Arborebello“, auf Altitalienisch schöner Baum, womit eine besonders große Eiche am Ortseingang gemeint war, in deren ausgehöhlten Stamm gut fünf Personen hinein passten. Der Legende nach sollen Briganten früher dort ihre Beute versteckt haben, die sie dann an die Armen verteilten.
Wenn auch in der Namenforschung des Ortes noch Unklarheiten bestehen, gibt es doch die Gewissheit, dass die Trulli von Alberobello 1996 in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wurden. Diese jahrhundertealten Rundbauten aus Kalkstein sind selbsttragend, obwohl sie bis heute immer noch gänzlich ohne Mörtel gebaut werden, und somit ein seltenes Beispiel in der Architektur.
Man vermutet, dass diese Bauweise ursprünglich aus der Türkei kommt, aber aus welcher Zeit genau die ersten Bauten stammen, ist ungewiss. Ähnliche Gebäude sind heute noch in verschiedenen Ländern Europas zu finden, sogar in Deutschland gibt es diese kleinen, weiß verputzten Häuschen in den Weinbergen in Rheinhessen, die apulische Gastarbeiter damals nach dem Vorbild ihrer Heimat gebaut haben.Anfangs dienten diese Bauten mit dem runden Grundriss nicht als Wohnhäuser, sondern eher als Schutzhütten für Bauern und Hirten auf den Feldern oder gar für Einsiedler.
In Alberobello wurden die Trulli zum ersten Mal bewohnt und bilden heute mit fast 1800 Häusern eine ganze Stadt, die sich auf zwei Hügeln verteilt. Auf dem einen liegen die ältesten Viertel Aia Piccola und Monti. Wer hier durch die Gassen spaziert, kann ein bisschen Alltag erleben und Frauen zuschauen, die vor der Haustüre Wäsche aufhängen oder Nudelteig für die typischen „Orecchiette“ ausrollen. Manchmal hat man auch das Glück, den „maestri trullari“, den Trulli-Baumeistern bei der Restaurierung eines Hauses zusehen zu können.
In diesem Ortsteil befinden sich der größte, zweistöckige „Trullo Sovrano“ und das aus 15 Trulli zusammengefügte Haus „Casa Pezzolla“, das Sitz des Ethnografischen Museums ist. Hier finden auch temporäre Ausstellungen sowie Konzerte und Theateraufführungen während der Sommermonate statt.
Auf dem Hügel gegenüber liegt hingegen das neuere, touristische Viertel mit Souvenir-Läden und Restaurants sowie der Trullo-Kirche Sant’Antonio.
Auf manchen Dächern sieht man astrologische und religiöse Symbole in weißer Farbe gemalt, die sowohl heidnischen wie christlichen Ursprungs sind. Sie sollten die bösen Geister fernhalten und das Schicksal gnädig stimmen. Es heißt, dass diese Zeichen einst als Willkommensgruß für Mussolini aufgefrischt wurden, als er 1934 seinen Besuch ankündigte.
Die ursprünglichen Symbole sind jedoch kaum noch sichtbar, im touristischen Stadtteil wurden sie wieder neu gemalt, um den Trulli eine mystische Aura zu verleihen.
Nächtliche Rundgänge durch Alberobello sind, besonders bei Mondschein, ein Erlebnis. Die strahlend weißen Häuschen mit ihren grauen Kegeldächern wirken dann wie verzaubert und man wähnt sich in einer anderen Welt.
Um zu verstehen, warum dieser Ort fast gänzlich aus Trulli besteht, muss man an den Anfang des 17. Jahrhunderts zurückgehen. Der mächtige Graf von Conversano, Giangirolamo II Acquaviva D’Aragona, hatte einen Jagdsitz in dem damals bewaldeten Gebiet, das zu seinem Großgrundbesitz gehörte. Später siedelte er seine Bauern dort an, um sie besser unter Kontrolle zu haben. Er ließ Bäume fällen sowie Häuser und Mauern aus Kalksteinquadern bauen, die auf den Feldern rundherum im Überfluss zu finden waren.
Ein damaliges Edikt des Königreichs von Neapel, zu dem Apulien gehörte, verpflichtete jedoch die Feudalherren, für jede neue Siedlung auf ihrem Gebiet eine Steuer an das Königshaus zu zahlen.
Giangirolamo II war so gewitzt, dieses Gesetz zu umgehen, indem er nur Trockenbauten ohne Mörtel erlaubte, die es damals schon vereinzelt auf den Feldern gab. Das bezweckte eine schnelle Demontierung im Falle einer Kontrolle von Seiten des Königs. Indem man nämlich die Spitze des Daches abdeckte, fiel der Rest des Hauses in sich zusammen, denn die Steinquader stützten sich einer auf den anderen. Tatsächlich ließ der König im Jahre 1644 einmal eine Inspektion in der Gegend durchführen. Der Graf wurde rechtzeitig gewarnt und befahl den Bewohnern, über Nacht ihre Trulli auseinander zu nehmen. So geschah es auch und die königlichen Steuerfahnder fanden dort, wo vorher eine Siedlung war, nur ein Trümmerfeld vor.
Die Bauern mussten sich nun einige Zeit im Wald aufhalten, lernten aber rasch, ihre Häuschen in kurzer Zeit wieder aufzubauen. Die Feudalherren konnten so auf einfache Weise die königlichen Steuern umgehen, deshalb durften bis Ende des 18. Jahrhunderts auf diesem Gebiet nur Trulli errichtet werden. 1797 hob der König von Neapel Ferdinand IV diese Einschränkung auf und gewährte den Bau „normaler“ Häuser auf traditionelle Weise unter Verwendung von Mörtel. Alberobello wurde zur königlichen Stadt erklärt und somit von der Feudalherrschaft befreit.
Inzwischen waren die Einwohner von Alberobello aber wahre Meister im Trulli-Bau geworden. Was wie ein niedliches Spielzeughäuschen aussieht, ist bei genauer Betrachtung ein architektonisches Meisterwerk, in dem jahrhundertelang meist kinderreiche Familien auf engstem Raum lebten. Die hohen Kegeldächer dienten als Getreidespeicher und die relativ kleine runde Fläche war in Wohn- und Schlafraum geteilt, eine Nasszelle gab es nicht. Die Feuerstelle zum Kochen war die einzige Wärmequelle, doch da die Trulli sehr dicke Mauern und nur kleine Fenster hatten, waren sie im Winter relativ warm und im Sommer wiederum angenehm kühl.
Die ärmeren Bauern holten sich ihr Vieh mit ins Haus, da sie sich keinen eigenen Stall leisten konnten. Bei Gründung einer neuen Familie bauten wohlhabendere Bauern indessen einen neuen Trullo an. Dazu wurde die Innenwand durchbrochen, so dass ein einziger großer Raum entstand. Um das Dach wasserdicht zu gestalten, wurde es schuppenartig mit Kalksteinplatten gedeckt.
Eine Dachrinne leitete das Regenwasser in eine Zisterne unter dem Haus, die die einzige Wasserversorgung darstellte. Die Wände wurden von Zeit zu Zeit weiß gekalkt um Ungeziefer und Schimmel vorzubeugen. Forscher von der Technischen Universität in Bari haben diese Rundbauten untersucht und festgestellt, dass alle sich in Form und Größe voneinander unterscheiden. Ausnahme sind die „Trulli Siamesi“, ein Haus mit unabhängigen Eingängen aber zwei miteinander verbundenen Kegeldächern.
Die einst bescheidene Wohnsiedlung für arme Bauern ist heute eine der touristischen Hauptattraktionen Apuliens geworden. Dazu hat natürlich auch die Aufnahme ins Weltkulturerbe maßgeblich beigetragen. Doch die Unesco-Auflagen sind streng und eine Sanierung kostet viel. Deshalb verlassen oder verkaufen private Eigentümer nach und nach ihre Häuser.
Manche stellen ihren Trullo zur Besichtigung gegen einen Obolus zur Verfügung, andere vermieten ihn für touristische oder gewerbliche Zwecke. Auch im Wohnviertel verbreiten sich deshalb immer mehr Souvenir- Shops und Lokale. Außerdem sind reiche Ausländer inzwischen auf den Geschmack gekommen und zögern nicht, größere Summen für den Kauf dieser seltenen Kegelbauten auszugeben.
Wer in einem Trullo seinen Urlaub verbringen möchte, kann ihn als Ferienhaus mieten, doch wenige davon sind noch authentisch. Die meisten sind modern ausgestattet und liegen außerhalb von Alberobello.
Für Hotel-Liebhaber gibt es im historischen Viertel Aia Piccola inzwischen ein Albergo Diffuso, wo man in echten Trulli übernachtet, die sich in ungefähr 200 m Entfernung vom Haupthaus befinden, das Rezeption, Restaurant, Bar u. a. beherbergt.
In einem Gebäude aus dem 18.Jahrhundert, einem der ersten Mörtelbauten der Altstadt, befindet sich das Hotel Lanzillotta. Es ist das älteste der Umgebung und wird seit vier Generationen von der gleichnamigen Familie geführt. Die Gastgeber erzählen ihren Gästen gerne von der Geschichte des Ortes und stehen mit Insider-Tipps und zur Verfügung.
Info
www.alberobellocultura.it
www.viaggiareinpuglia.it
Unterkünfte und Rundreisen:
www.hotellanzillotta.it
www.trullidea.it
www.trulliholiday.it
www.trulliland.it
Führungen durch Alberobello auf Deutsch, Englisch, Holländisch und Italienisch:
Jeltina Schoenmaker
jeltina@tiscalinet.it