Terra Italia

SizilienDie barocke Pracht des UNESCO-Welterbes

Richard Brütting


 Das Erdbeben von 1693 führte zum Untergang des mittelalterlichen Südostsiziliens – und zu dessen Wiederauferstehung im Spätbarock

Ragusa (TidPress) – Am 11. Januar des Jahres 1693 erschütterte ein verheerendes Erdbeben ganz Südostsizilien. Das seit Menschengedenken gewaltigste Erdbeben auf dem Territorium Italiens zerstörte über 30 Städte fast völlig, darunter Modica, Noto, Palazzolo Acreide, Ragusa und Scicli. Es erreichte die Stärke 7,4 auf der Richter-Skala und löste zudem einen gewaltigen Tsunami aus. Die Katastrophe, die etwa 60.000 Todesopfer forderte, konnte dieser Gegend aber keineswegs den Todesstoß versetzen. Vielmehr wurde sie im 18. Jahrhundert mit beispielhafter Energie wieder aufgebaut und mit spätbarocken Prachtbauten versehen.

Wie in anderen Städten entstand in Modica, dem Geburtsort des Dichters und Nobelpreisträgers Salvatore Quasimodo, beim barocken Wiederaufbau ein Konflikt zwischen der Ober- und der Unterstadt. In der Unterstadt wurde der Dom S. Pietro errichtet und hoch über ihr der Dom S. Giorgio, der in Vielem der Dresdener Frauenkirche gleicht. Aber welches der beiden Gotteshäuser sollte die Hauptkirche des Ortes sein und damit das Recht zur Bestimmung des Schutzpatrons erhalten? Der erbitterte Kirchenkampf dauerte ein halbes Jahrhundert und führte sogar zu einem Eheverbot: Bis heute zeigt eine Tafel die „Heiratsgrenze“ zwischen den beiden Stadtteilen an, und bis heute „kämpfen“ Sankt Petrus und Sankt Georg gegeneinander, vor allem wenn es um städtische Zuschüsse zu den jeweiligen Patronatsfesten geht. Modica gehört zum UNESCO-Welterbe.

Infolge des Wiederaufbaus gibt es auch in Ragusa eine neue Oberstadt mit geraden, breiten Straßen und eine verwinkelte Unterstadt mit dem Namen Ragusa Ibla, die auf den Ruinen der mittelalterlichen Stadt errichtet wurde. Die Oberstadt scheint ebenfalls aufgrund einer religiösen Rivalität zwischen zwei Kirchen, S. Giorgio und S. Giovanni, von den Parteigängern des hl. Johannes errichtet worden zu sein. Die heutige Provinzhauptstadt ist die reichste Gemeinde Siziliens; ihre barocke Anlage bildet mit 18 Bauwerken eines der größten urbanen Ensembles des UNESCO-Welterbes. Unweit von Ragusa liegt das Schloss Donnafugata, das Tomasi di Lampedusa zusammen mit anderen Erinnerungen in seinem Roman „Der Gattopardo“ verewigt hat.

Scicli verlor durch das historische Erdbeben 2000 Einwohner. Es wurde im 18. Jahrhundert im Schutze von steilen Kalkfelsen wieder aufgebaut und gehört mit seinen barocken Kirchen, Klöstern und Palästen zum UNESCO-Welterbe. Der Schriftsteller Elio Vittorini lobte in seinem posthum erschienenen Roman „Le città del mondo“ die südlichste Stadt Italiens, die sich nach dem Sieg Garibaldis am 7. Juni 1860 als erste sizilianische Stadt für den Anschluss an das Königreich Sardinien-Piemont (1861: Königreich Italien) aussprach. Er pries die festliche Stimmung zusammengedrängter Dächer, diebischer Elstern und klingender Glocken…

Das prächtige Noto, eine einheitliche spätbarocke Stadtlandschaft, wurde mit rechtwinkligen Straßen an anderer Stelle als die vorherige Siedlung errichtet. Die gewaltige Kathedrale, deren Gewölbe 1996 eingestürzt war, kann seit der Renovierung wieder besichtigt werden. Ihr gegenüber liegt der Palazzo Ducezio, der seinen Namen von Duketios, dem legendären Führer der Sikuler, ableitet. Er leitete im 5. Jahrhundert v. Chr. den Widerstand gegen das Vordringen der griechischen Kolonie Syrakus ins Landesinnere. Auf dem Deckengemälde des Spiegelsaals im Palast, der das Rathaus von Noto beherbergt, werden heroische Szenen dargestellt. Noto gehört zum UNESCO-Welterbe, ebenso wie Palazzolo Acreide, eine 664 v. Chr. von Syrakus gegründete Festungsstadt mit einem prächtigen griechischen Theater. Palazzolo Acreide wurde 827 von den Arabern zerstört. Eine weitere Zerstörung brachte das Erdbeben von 1693, die aber durch den barocken Wiederaufbau glanzvoll wettgemacht wurde.

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16.01.2013

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