M.Airò “Cosmometrie”
(Foto Città di Torino)
R.Horn “Piccoli Spiriti blu”
(Foto Città di Torino)
Turin (Terra Italia) – Wer sich entschlossen hat, seinen Urlaub in den verschneiten Bergen Piemonts oder des Aostatals zu verbringen, sollte mindestens ein bis zwei Tage einem Besuch dieser bezaubernden und raffinierten Großstadt widmen, der wahren Metropole der Westalpen. Den „hohen“ Stil Turins erkennt man sofort an den Lichtanlagen, die von berühmten zeitgenössischen Künstlern erdacht und an den wichtigsten Plätzen, Straßen und Denkmälern des Stadtzentrums angebracht wurden (Dieses Jahr findet zum 3. Mal die Schau „Luci d’Artista“ statt; sie bleibt bis 10. Januar 2004 geöffnet).
Von der Piazza Castello bis zur Via Garibaldi, von der Via Roma und der Piazza Carignano bis zum Po-Fluss schlängelt sich ein Geflecht hell- und dunkelblauer, rosa und goldfarbiger Leuchtkörper, die auf die Fassaden der monumentalen Paläste strahlen und die alten Plätze beleuchten. Die „Luci d’artista“ sind so schön, dass man sämtliche 16 Installationen besichtigen sollte, indem man einige Kilometer im historischen Stadtzentrum von Turin spazieren geht. Am besten startet man an der Piazza Palazzo di Città, um die „Cosmometrie“ von Mario Airò zu betrachten: 42 Zeichnungen von Giordano Bruno aus dem Buch „Articuli 160 adversus matematicos“ werden auf die Gehwegplatten projiziert und bedecken sie beinahe wie die Teppiche einer Moschee. Bevor man in die Via Roma, die Hauptstraße der Stadt, gelangt, lohnt sich ebenso ein Blick auf das Märchen des Bildhauers Luigi Mainolfi, das mit im Freien hängender Leuchtschrift erzählt wird, wie in die Straßen Via Pietro Micca und Via Cernaia, wo ein Vogelschwarm, das Werk von Francesco Casorati, sich in die Lüfte erhebt und dabei im Schnabel einen sehr langen roten Faden mit sich führt, der sich durch das Stadtzentrum zieht.
Via Roma und Piazza San Carlo sind das Herz von Turin. Sie werden von zwei Bogengängen mit schönen Geschäften, Konditoreien und Cafés aus dem 19. Jahrhundert gesäumt. Es ist ein Muss, dort einen kurzen Halt einzulegen, um eine Tasse heißer Schokolade mit Sahne zu schlürfen und das berühmte piemontesische Gebäck in Miniformat zu probieren. In der Höhe zeichnet sich oberhalb der Metropole ein Firmament ab, das die unzähligen Sternbilder des Universums darstellt („Planetario“ von Carmelo Giammello).
Oberhalb der Via Po werden die Sternbilder zu Planeten und Satelliten. In der Höhe balanciert ein Seiltänzer, Symbol des Menschen im Zwiespalt zwischen Erkenntnis und Unwissen. Auf den Murazzi (den Deichen des Po) befindet sich eine Installation von Joseph Kosuth, dem Pionier der Konzeptkunst: zwei Neonleuchtschriften mit Sätzen von Italo Calvino und Friedrich Nietzsche, also von Schriftstellern, die Turin liebten und sich mit der Stadt identifizierten. Auf dem gegenüber liegenden Flussufer bemerkt man oberhalb eines Hügels eines der am meisten diskutieren Werke der „Luci d’Artista“: die „Piccoli spiriti blu“ (Kleine blaue Geister) von Rebecca Horn. In der Nacht wird die Kirche Santa Maria del Monte dei Cappuccini von starken blauen Scheinwerfern angestrahlt und verliert so ihren gewohnten Anblick. Sie verwandelt sich in eine surreale Struktur. Die Lichtkreise werden unterstützt von den tiefen Wolken und den Nebeln, die im Winter vom Po aufsteigen und zu kleinen blauen Geistern werden.
Der Bezug von Turin zur zeitgenössischen Kunst ist sehr eng, enger als in irgendeiner anderen italienischen Stadt. Im November jeden Jahres findet die „Artissima“ statt, die einzige internationale Messe Italiens für zeitgenössische Kunst und die neuesten Kunsttendenzen. Eine Abteilung ist den jungen Galeristen der Avantgarde vorbehalten. Die „Artissima 2003“ wurde mit großem Publikumserfolg im Lingotto Fiere abgehalten, einem restaurierten Industriebau, den FIAT in den 1920-er Jahren errichten ließ. Die Messe hat zahlreiche „historische“ Künstler, aber auch junge, noch zu entdeckende Talente vereinigt (www.artissima.it info@artissima.it).
Bei einem Rundgang unter dem Thema „Zeitgenössische Kunst“ sollte man besuchen:
– Das Schloss von Rivoli. Diese riesige Residenz der Savoyer aus dem 18. Jahrhundert liegt auf einem Hügel vor den Toren von Turin. Das Bauwerk ist unvollendet, was dem Schloss einen besonderen Zauber verleiht und den Dialog zwischen den Kunstwerken von heute und den 250 Jahre alten architektonischen Linien bzw. Dekorationen fördert. Das Museum für Moderne Kunst von Rivoli ist das einzige seiner Art in Italien. Es beherbergt eine reiche Dauerausstellung mit Werken italienischer und ausländischer Künstler und präsentiert bedeutende Sonderausstellungen. Bis zum 25. Januar 2004 bleibt die Vanessa Beecroft-Retrospektive geöffnet. Geleitet von fotografischen Werken und Videoprojektionen verfolgt man den Weg der Künstlerin bei einigen zentralen Themen der Gegenwartskultur: Identität und multiple Persönlichkeit, Körper und Sexualität (www.castellodirivoli.org und info@castellodirivoli.org).
– Die Fondazione Sandretto. Bis 8. Februar 2004 bleibt die Ausstellung „Lei. Le donne nelle collezioni italiane“ (Sie. Die Frauen in den italienischen Sammlungen) geöffnet. Sie vereinigt die unveröffentlichten Arbeiten von 30 internationalen Künstlern aus italienischen Sammlungen (www.fondsrr.org info@fondsrr.org).
– Nicht versäumt werden sollte die Ausstellung „Africa“, die der afrikanischen Skulptur im Laufe von 2500 Jahren gewidmet ist – von den Terrakotta-Köpfen der Nok-Zivilisation (500 v.Chr.) bis zum Höhepunkt des vollkommenen künstlerischen Abbilds mit den Bronzeköpfen des 12.-16. Jahrhunderts. Schließlich gelangt man zur Wiederentdeckung der afrikanischen Kunst durch avantgardistische Künstler des frühen 20. Jahrhunderts (GAM Galleria d’Arte Moderna, Via Magenta, 31 – Torino).
C.Giammello “Planetario”
G.Paolini “Palomar”