Ankunft von Romano Prodi mit Gattin
Verona (Terra Italia) – Als erster deutscher Bundeskanzler hat Gerhard Schröder am 18. August die Bayreuther Festspiele besucht. Gemeinsam mit dem japanischen Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi genoss er opulenten romantischen Ohrenschmaus, nämlich Richard Wagners Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“. Schon vier Tage später, am 22. August, warf sich Schröder erneut in Schale und eilte wieder zu politischen Zwecken in die Oper, diesmal in die Arena von Verona, um dort der tragisch-romantischen Story um die heißblütige „Carmen“ und ihre nicht minder leidenschaftlichen Verehrer zu lauschen.
Zu Georges Bizets Opus hatte ihn der Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, eingeladen, der sich vom Gast aus Deutschland sicher Schützenhilfe und gute Ratschläge für die bevorstehenden Wahlkämpfe um die Sitze im europäischen und im italienischen Parlament erwartete. Gleichzeitig sollten durch das Zweiertreffen die deutschen Gefühle besänftigt werden, die ob einiger schriller Ausrutscher des mittlerweile entlassenen Tourismus-Staatssekretärs Stefani in arge Wallung geraten waren und den genervten Bundeskanzler vielleicht vorschnell bewogen hatten, seinen diesjährigen Urlaub in Hannover statt in Italien zu verbringen.
Generös nahm Schröder Prodis Einladung an, machte aber launisch einen Vorbehalt: „Ja – sofern der italienische Ministerpräsident nichts dagegen hat“, was dieser gewiss nicht konnte, stand er doch selbst bei den Deutschen wegen seines Fauxpas bei der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft in der Schuld. Er hatte nämlich in Straßburg den deutschen Europa-Abgeordneten Martin Schulz für die Rolle eines „Kapos“ in einem KZ-Film vorgeschlagen, sich für diesen unsäglichen Missgriff aber nicht, wie vielfach gefordert, entschuldigt, sondern nur sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass seine spaßig gemeinte Bemerkung wohl missverstanden worden sei.
Vom Bürgermeister von Verona, Paolo Zanotto, stammte der Einfall, auch Silvio Berlusconi als „special guest“ zu „Carmen“ einzuladen. Nach einigen Verhandlungen hinter den Kulissen waren alle Beteiligten mit einem Dreiergipfel unter dem Motto „In Verona trifft sich Europa“ einverstanden.
Die Öffentlichkeit war nun sehr gespannt, wie sich neben der Haupthandlung auf der Bühne („Carmen“ in der Inszenierung von Franco Zefirelli) wohl die Nebenhandlung der drei „Toreros“ auf den Ehrenplätzen entwickeln werde: Prodi könnte nämlich der innenpolitische Herausforderer von Berlusconi werden, und Schröder ist von Berlusconis Außenpolitik (u.a. Engagement auf seiten von Bush im Irakkrieg) sicher nicht sehr begeistert. Andererseits besteht gerade auf dem Feld der Europapolitik das gemeinsame Interesse, die derzeitige italienische Ratspräsidentschaft zu einem Erfolg werden zu lassen. Geht es doch um die endgültige Formulierung der europäischen Verfassung und deren spätere Unterzeichnung in Rom. Nach seiner Ankunft in Verona unterstrich Gerhard Schröder schon bei seinem ersten Interview, Deutschland und Italien müssten eng zusammenarbeiten, um „Verwässerungen“ durch andere Länder entgegenzutreten. Auch bei der Verbesserung der durch die Irak-Krise angeschlagenen transatlantischen Beziehungen hätten die beiden Länder gemeinschaftliche Aufgaben.
Schließlich kam aber alles ganz anders als geplant. In letzter Minute sagte Berlusconi seine Teilnahme an der „Corrida der Versöhnung“ ab. Die Entschuldigung für den Rückzug: Furcht vor einem eventuellen Pfeifkonzert, das die Vorstellung erheblich gestört und einen „internationale Fall“ bedeutet hätte. Wie er auf der Pressekonferenz am 23. August (s.u.) betonte, habe er aus diesem Grunde zusammen mit seiner Frau Veronica, einer großen Musikliebhaberin, das „Opfer“ gebracht, der Aufführung fern zu bleiben, was ihm allerdings nicht leicht gefallen sei.
Carmen, verkörpert durch Irina Mishura, war der Dreh- und Angelpunkt der nicht ganz ausverkauften Vorstellung. Vor ihrem ersten Auftritt hatte man jedoch den Eindruck, das Bühnengeschehen werde in Massenszenen mit bis zu 200 gleichzeitig agierenden Personen zerfließen, ohne dass zunächst ein Zusammenhang im Durcheinander Flamenco tanzender Zigeuner, vorüberziehender Pferde- und Maultiergespanne, Gruppen flanierender Bürger usw. erkennbar war. Erst als die stimmgewaltige Carmen erschien, bekam die Aufführung ein Zentrum, auf das hin sämtliche Handlungen ausgerichtet waren. Gefallen hat auch Maya Dashuk in der Rolle der Micaëla, die im Laufe der Vorstellung immer mehr an stimmlicher Sicherheit gewann. Die männlichen Hauptdarsteller waren bravourös, konnten aber die Ausstrahlung von Carmen und Micaëla nicht erreichen, was ja der Logik der Partitur durchaus entspricht.
Die Ehrengäste verfolgten die vierstündige Aufführung in ihrer ganzen Länge (was italienische VIPs nicht immer tun). Unter lautem Beifall des Publikums entledigten sie sich zu Beginn der Oper ihrer Jacketts, um so der auch durch die Nachtstunden kaum gemilderten Hitze zu trotzen. Insgesamt war „Carmen“ ein politmusikalisches Fest, das der Bundeskanzler und der Präsident der EU-Kommission gut gelaunt genossen.
Der Bürgermeister von Verona
empfängt Gerhard Schröder