Text und Fotos: Elvira D’Ippoliti
Montefiore dell’Aso – Eine riesige Leinwand, auf der ein genialer Maler seine Idee der perfekten Natur gemalt hat: So sieht die Hügellandschaft um Ascoli Piceno in den Marken aus. Jedes Stück Boden ist angebaut. Drei Reihen von Obstbäumen, die wie ein archaisches Symbol das Territorium markieren. Weinberge, die anscheinend nach einer harmonischen, mathematische Formel an ihrem Platz genau so stehen, wie sie einfach stehen müssen, um zu unterstreichen, wie schön die Umwelt sein kann. Gepflügte Felder, die sich eines an das andere reihen, um chromatische, künstlerische Experimente zur Vollendung zu bringen. Der Frühling fügt seinen persönlichen Pinselstrich mit Kirschblüten und gelben Blumen hinzu. Mein Meditations-Ausflug hat eben begonnen. Die Straßen sind angenehm kurvig, das andauernde Rauf-und-Runter-Fahren ist wie eine stille Musik, die zu noch mehr Konzentration beiträgt. Ein Auto und etwas Zeit, mehr braucht man in diesem Landstrich der Marken nicht, um die Seele baumeln zu lassen und eine Vielfalt schöner Erinnerungen nach Hause zu bringen.
Das Schöne an dieser Erfahrung kann auch der Mangel eines Zieles sein. Ich fahre einfach weiter und lasse mich von der Harmonie inspirieren. Irgendwann zeigt ein hochgelegenes Dorf sein Profil. Steinerne Mauern, ein Kirchturm, Häuser, die beruhigend alt ausschauen, aber voller Leben sind. In Montefiore dell’Aso füllt gerade ein Hochzeitszug den zentralen Platz. Die Fassaden der Häuser scheinen mit ihren Backsteinen festlich zu klatschen. Ein paar Schritte, und ich befinde mich in einem stillen Gässchen. Die Außenmauer einer Apsis ist mit einem Motiv sich kreuzender Bögen geziert. In der Kirche S. Francesco kann ich einen Fresken-Zyklus des „Meisters von Offida“ aus dem 14. Jahrhundert bewundern. Das angrenzende Kloster ist in ein Museum ungewandelt worden. In einem Saal ist ein Teil des wunderschönen Flügelaltars von Carlo Crivelli (15. Jahrhundert) aufbewahrt. Ich blicke auf das ernste Gesicht des Heiligen Petrus und habe den Eindruck, dieselbe Miene schon irgendwo in der Gegenwart einiger Bewohner der Marken gesehen zu haben.
Terra Italia Bildergalerie: „Borghi“ und Hügel in der Provinz Ascoli Piceno
Wie lebt man mit einer Vielfalt von Kunstschätzen zusammen? In den Marken scheint man die richtige Antwort auf die Frage gefunden zu haben, und sie lautet: Man kann das ganze Territorium in ein „dezentrales Museum“ verwandeln. Dazu gehören Kirchen, Theater, Paläste, aber auch erodierte Hügel (calanchi), die wie eine zeitgenössische Skulptur aussehen, Olivenhaine, Obstbäume und mit Blumen bedeckte Wiesen. Der Meditations-Ausflug kann sich leicht in eine Kunst-Promenade verwandeln. Die nächste Etappe ist Ripatransone, wo man ein kleines Theater besichtigen kann. Die prachtvoll dekorierte Decke ist ein echter Blickfang. Ich mache den Spaziergang durch die niedlichen, kleinen Straßen der Stadt und stoße auf ein Kuriosum: die engste Gasse Italiens, die sich mit ihrer Breite von 43 cm nicht leicht durchqueren lässt.
Vom Schatten wieder ans Licht: Im Weingut „Le Caniette“ kostet man hervorragende Weine und blickt durch die Panorama-Glas-Wand auf die Landschaft. Ripatransone liegt nur ein paar Kilometer höher, und die Emotionen, die diese Region anzubieten hat, scheinen sich immer wieder zu häufen. Für den Sonnenuntergang habe ich mir ein Extra-Programm vorgenommen. Ich will den Blick auf das Meer von der Terrasse bewundern, die sich außerhalb der Mauern von Monterfiore dell’Aso befindet.