Küstenhochstraße vom Schloss
Duino zur Bucht von Sistiana („Rilke Weg“)
Triest (Terra Italia) – Die Provinz Triest ist ein schmaler Landstreifen, der im Osten von den Bergen des Karsts und von Slowenien, im Western von der Adria begrenzt wird. Es gibt wenig bebaubares Land; es ist karg, voller Steine, sehr abschüssig und wird im Herbst und im Winter von der Bora, einem kalten, beißenden Wind, weggefegt. In den sechziger Jahren wurde es von den Bauern, die in den Fabriken und Baustellen der Umgebung arbeiteten, aufgegeben. Brombeerhecken und Unkräuter überwucherten in kurzer Zeit die Weinberge und Olivenhaine.
Wer von außerhalb kommt, stellt sich folgende Frage: Welchen Sinn macht es, in Triest vom 19.-23. September 2002 „Le giornate dell’agricoltura, pesca e forestazione“ (Tage der Fischerei, Land- und Forstwirtschaft) zu veranstalten? Die Antwort findet man bei einer Fahrt über Küstenhochstraße vom Schloss Duino (wo sich Rainer Maria Rilke lange aufhielt) zur bezaubernden Bucht von Sistiana und noch weiter in Richtung Triest nach Aurisina und zum Schloss Miramare. Man trifft auf eine ständige Abfolge geordneter Reihen mit den Trauben des weißen Vitovska und des istrianischen Malvasia. Auf den Hügeln gegen die Landesgrenze hin ist das Schauspiel noch prächtiger: Von sehr hohen Weinstöcken hängen tiefrote Refosco-Trauben, aus denen der angenehm herb schmeckende Terrano-Wein gekeltert wird.
Das Tal von San Dorligo-Dolina senkt sich gemächlich zur Buch von Muggia. Es ist vollständig mit Olivenbäumen der Sorte Bianchera-Belica bedeckt, die ein gleichzeitig pikantes und delikates Öl hervorbringen, das bestens zum Würzen eines aus der Adria kommenden Meeresfrüchte-Salats geeignet ist. Die Liebe des Menschen zur Natur hat eine Revanche über die Endstation der Ölpipeline Triest-Ingolstadt erreicht, die seit 30 Jahren die Landschaft um die Bucht verschandelt, nun aber vom Grün Tausender von Ölbäumen umgeben ist.
Liebe zur Traditionen und zu Grund und Boden, Sehnsucht nach den Düften und Aromen von einst sind die Triebfeder, die viele Einwohner von San Dorligo-Dolina einschließlich des Bürgermeisters Boris Pangerc, von Beruf Slowenisch-Lehrer an der Mittelschule, dazu bringen, ihre Freizeit einer schönen, aber auch anstrengenden Tätigkeit zu widmen.
Bürgermeister Pangerc beschränkt sich nicht darauf, eigenhändig die Bianchera-Belica zu kultivieren. Bei den „Giornate dell’Agricoltura“ von Triest hat er die Gründung einer Internationalen Straße der Olivenbäume angekündigt, die in Triest und San Dorligo-Dolina beginnt und an der Küste Istriens entlangführt, um endlich im griechischen Kalamanta zu enden. Zwölf Gemeinden aus vier Ländern sind bereits dem Projekt beigetreten, das bedeutsame kulturelle, wirtschaftliche und touristische Entwicklungen nehmen wird.
In Slowenien wächst die Anbaufläche für Ölbäume jährlich um 40-50 ha. Bald wird der Küstenstreifen der Gemeinden Capodistria, Isola und Pirano mit Olivenhainen bedeckt sein, die auf Terrassen zum Meer hin abfallen. Übrigens handelt es sich auch hier um eine Rückkehr zu Traditionen: Vor dem großen Frost von 1929 und der fast ideologischen Ablehnung der Olive durch die kommunistischen Behörden Jugoslawiens nach 1945 hatte Slowenien 300.000 Ölbäume. Kroatien scheint sogar einige Dutzend Millionen Bäume an der Küste und auf den Inseln besessen zu haben.
Möglicherweise wird eine mehr als 1.500 km lange Anbaufläche in zehn Jahren einige europäische Völker, die durch geschichtliche Ereignisse voneinander getrennt worden sind, unter dem Zeichen einer gemeinsamen landwirtschaftlichen und kulinarischen Tradition wieder zusammenführen.
Stanjel-S.Daniele del Carso (Slowenien)