einige zehn Meter tiefe Schluchten, die vom Wasser aus Kalkgestein
ausgewaschen worden sind. Mit dem Untergang des Weströmischen Reichs
begann in Apulien eine kriegerische Periode. Einfälle von Goten,
Byzantinern, Langobarden, Sarazenen und Normannen zwangen die Bevölkerung
des an die Basilicata grenzenden Landstrichs, in den natürlichen Höhlen
der “Gravine” Zuflucht zu suchen und dort vollkommen getarnte Behausungen
zu bauen. Dies begründete eine außerordentliche Zivilisation unter der
Erdoberfläche, die bis ans Ende des Mittelalters überlebte. Gleichzeitig
kamen aus Byzanz orientalische Mönche, die in die “Gravine” Altäre
meiselten, Ikonen malten und so Felsenkirchen schufen.
Die Gravina von Ginosa ( Pro Loco Ginosa, Via Aloisie, 3; Tel./Fax:
+39-099-8294884) bietet ein ungewöhnliches Schauspiel der Natur und der
Kunst: Umgeben vom Grün der Olivenbäume, Steineichen und Wiesen, sind in
weißen Kalkstein und rötlichen Tuff Hunderte von Höhlenwohnungen und
Felsenkirchen mit byzantinischen Fresken eingegraben.
Mit dem Ende des Mittelalters wurde in der Höhe neben der Felsenstadt ein
zweites Ginosa mit einer Burg, der Mutterkirche aus dem 6. Jahrhundert und
anderen Gebäuden errichtet; ein Teil der Höhlenbevölkerung, aber nicht die
Gesamtheit, zog dorthin um. Bis in die 60er Jahre wurden die Felsenhäuser
von den ärmeren Bürgern von Ginosa bewohnt, die in der Folge nach
Deutschland, Kanada und Australien ausgewandert sind.
Die Gemeindeverwaltung hat der Europäischen Union eine von einer
norditalienischen Architektengruppe ausgearbeitete Studie vorgelegt, die
auf den vollständigen Erhalt der Felsenstadt abzielt. “Wir brauchen noch
zehn Jahre und mindestens 10 Mio. Euro”, bekannte realistisch der
Bürgermeister uns gegenüber. Nur dann könne das unterirdische Ginosa,
dieses geschichtliche Zeugnis für den Willen, auch in dunkelsten Epochen
zu überleben, seinen Glanz wiederfinden. Eine teilweise Besichtigung ist
schon jetzt möglich. Das Schauspiel der “Passio Christi” am Karsamstag und
am ersten August-Sonntag liefert hierzu eine gute Gelegenheit. Dabei
stellen 300 kostümierte Personen das Leben Jesu dar und pilgern durch die
Gassen der Felsenstadt.
Am Grunde einer “Gravina” liegt in etwa 40 km Entfernung von Ginosa in
Richtung Tarent eine zweite berühmte Felsenstadt: Massafra. Man kann über
eine Treppe mit 125 Stufen hinabsteigen und die als Wohnungen
eingerichteten Höhlen besichtigen (sie enthalten ein oder zwei Räume mit
einer Feuerstelle, einem Alkoven, Nischen zum Auspressen von Trauben und
zur Aufbewahrung von Wein, Öl, Honig, Gemüse und Trockenobst); es gibt
auch Höhlen mit Werkstätten, Warenlagern und Wasserzisternen. In
bestimmten Perioden des Mittelalters musste sich die Bevölkerung
wochenlang versteckt halten; und selbstverständlich musste sie in der
Zwischenzeit weiterhin arbeiten und produzieren, um überleben zu können.
Zur Übernachtung im Gebiet der “Gravine” empfiehlt sich das Appia Palace
Hotel ( S.S. 7 Appia, km 633 – 74016 Massafra –Taranto; Tel.
+39-099-881501). Dieses Vier-Sterne-Hotel liegt inmitten eines Parks mit
hundertjährigen Olivenbäumen. Das Restaurant des Appia Palace ist eine
wahre Apotheose der tarentinischen Küche, die nur schwer in einem Beitrag
beschrieben werden kann, der nicht jeden Umfang sprengt. Beginnen wir bei
den Vorspeisen: geröstete Brotschnitten; Friselline; Calzoni mit
Hochzeitszwiebeln; typische Würste aus Apulien; Käse aus der Murgia;
Sardellen mit Seebarben; Tintenfische-Pfanne. Dann der erste Gang:
Gries-Orecchiette, garniert mit Rübchen; Gries-Cavatelli mit Bohnen und
Miesmuscheln; dicke Strascinate mit frischen Tomaten, kräftiger Ricotta
und gerösteten Brotwürfeln; Gemüsesuppe mit fritierten Seebarben. Der
zweite Gang: Stockfisch mit Oliven, Kapern und Oregano; gefüllte Kaninchen
mit Artischocken, Zwiebeln und Kardonen. Danach verschiedene Süßspeisen
mit Mandeln – das Ganze benetzt mit Rotweinen der Cantina San Marzano. Ich
möchte unterstreichen, dass ich nicht die Speisekarte des Restaurants
abgeschrieben, sondern alles notiert habe, was den Gästen am Büffet
angeboten wurde (weitere touristische Informationen über die Provinz
Tarent: www.apttaranto@pugliaturismo.com).