überragt eine altehrwürdige, eindrucksvolle Kirche, die Ruhestätte der
Märtyrer Viktor und Corona, das Tal des Sonna-Sturzbachs. Das Heiligtum
liegt auf dem Berg Miesna und ist über den alten Pfad der “Kapitelle”
erreichbar, an dessen Rand sechs Kapellen aus dem 16. Jahrh. stehen, die
zur “Esplanade des Engels” geleiten. Eine im 18. Jahrh. nach Plänen von
Giuseppe Segusini aus Feltre erbaute Freitreppe führt schließlich zur
Pilgerstätte in einer Höhe von 344 m über dem Meer.
Die Kirche mit ihrem Unterbau aus Kalksteinblöcken wurde von Mönchen aus
der Umgebung von Como im Stil der Romanik erbaut (Baubeginn im Jahre 1096)
und 1101 von Bischof Arpo aus Feltre geweiht. Insgesamt hat das Bauwerk
freilich ein orientalisches Aussehen, so bei den dekorativen
Marmorverzierungen des Martyriums. Es handelt sich um eine “arme” Version
des byzantinischen “Quincunx”, d.h. um eine Kirche mit einer hohen
zentralen und vier kleineren Kuppeln an den Ecken, die sich in ein Schema
aus neun Feldern einfügen. Im Zentrum dominiert ein hoher Kreuzbogen, von
dem aus sich die zwei Tonnenbögen des Querschiffs und die zwei Kreuzbögen
des Hauptschiffs öffnen. Hinzu kommen vier kleine Eckkreuze, der Nartex
und das Martyrium. Die Gliederung des Bauwerks wird von vier massigen
Pfeilern unterstrichen. Die drei Schiffe zeigen dagegen einen romanischen
Charakter, ebenso das Westwerk mit seinen zwei wuchtigen Glockentürmen.
Die Kapitelle des Martyriums, in dem die Gebeine der Heiligen ruhen,
wurden von byzantinischen Künstlern bearbeitet, vielleicht von der
Bauhütte von San Marco zu Venedig. Die zwei zentralen Kapitelle entstammen
dagegen einem Ambiente unter islamischem Einfluss und zeigen Zierbänder in
kufischer Schrift.
Der in der Segusini-Sakristei (2. Hälfte des 19. Jahrh.) stehende
Sarkophag des Giovanni Da Vidor wird auf das Jahr 1096 datiert. Er besitzt
zwei prächtige Kapitelle, die vom Wind bewegte Akantus-Blätter darstellen.
Dabei handelt es sich um Abbruch-Material aus griechischem Marmor, das auf
das 6. Jahrh. datierbar ist. Derselben Periode gehört der Märtyrerschrein
an (der dem des hl. Virgilius im Dom von Trient gleicht). Im Jahre 1440
stellte man den Heiligenschrein auf vier Säulen und brachte gleichzeitig
ein schönes Basrelief an, das den hingestreckten Körper von St. Viktor
zeigt (vermutlich aus der Werkstatt des Venezianers Bartolomeo Bon). Auf
die gleichen Jahre geht der in spätgotisch-venezianischem Stil ausgeführte
Tabernakel zurück, der die Form des Heiligen Grabs hat (wahrscheinlich ein
Werk von Antonio da Marcador). Im Laufe des 14. Jahrh. vergrößerte man das
Südportal der Kirche und errichtete den Bischofsthron. Aus der 1. Hälfte
des 16. Jahrh. stammt das Taufbecken.
Schon bald nach der Weihe plante man, das gesamte Innere der Gotteshauses
auszumalen. Die ersten Fresken am Triumphbogen stammen aus der ottonischen
Periode (12. Jahrh.) und zeigen die Apostelfürsten Petrus und Paulus. Aus
dem 13. Jahrh. folgen der hl. Christophoros, die hl. Agnes und der hl.
Franziskus (erste Darstellung der Armen von Assisi in Hoch-Venetien). Zwei
Lünetten (14. Jahrh.) oberhalb des Hauptaltars stellen das Weltgericht,
eine Schmerzhafte Muttergottes und das Letzte Abendmahl dar; dieses Werk
eines unbekannten Schülers von Giotto wurde nach der Vollendung der
Scrovegni-Kapelle (Padua; 1. Hälfte des 14. Jahrh.) geschaffen. Auf die
Mitte dieses Jahrhunderts datiert man auch das Letzte Abendmahl im
Südschiff, das ein Fest-Bankett der damaligen Gesellschaft darstellt. Eine
besondere Delikatesse waren offensichtlich Flusskrebse, die über die
gesamte Tafel verstreut sind.
Zwei illustre Künstler aus dem 15. Jahrh., Tommaso da Modena und Vitale da
Bologna (bzw. deren Schüler), haben sowohl den oberen Teil des Martyriums
als auch den des nördlichen Querschiffs ausgemalt. Tommaso malte die vier
Kirchenlehrer, die hl. Märtyrer und die Engel des Triumphbogens und
stellte den Heiligenschrein unter einen mit den Symbolen der vier
Evangelisten verzierten Sternenhimmel. Vitale stellte das Martyrium der
Heiligen und die Legende von der Überführung ihrer Reliquien in einem
Gemäldezyklus dar. Im Nordschiff sieht man schließlich einen stark
beschädigten Zyklus aus dem 15. Jahrh.: St. Viktor ist als Soldat
gekleidet; er führt das Wappen von Feltre und die Siegespalme mit sich.
Die hl. Corona trägt das Kleid einer Jungfrau und hält die Märtyrerkrone
in der Hand.
Auf einer Bleitafel aus dem 7.-8. Jahrh., die im Heiligenschrein
eingeschlossen ist, erinnert Bischof Solonio von Ceronia daran, dass die
Leichname der Heiligen von seinem Vorgänger, dem Märtyrer Theodorus, im
Jahre 205 n. Chr. von Syrien, dem Ort des Martyriums, nach Zypern
überführt wurden. Von dort gelangten die Körper über Venedig
wahrscheinlich zu Beginn des 9. Jahrhunderts nach Feltre. Fromme Legenden
berichten von den besonderen Ereignissen bei der Ankunft der Heiligen am
Berg Miesna. Als der Wagen mit den Reliquien das Dorf Anzù erreicht hatte,
waren die beiden Zugpferde durch nichts zum Weiterfahren zu bewegen, um
die Reliquien zur Kathedrale zu bringen, wo der Bischof und die
Bürgerschaft ungeduldig warteten. Da trat eine alte Frau hervor und
offenbarte den Umstehenden, dass Viktor ihr im Schlafe aufgetragen habe,
ihre beiden Jungtiere dem Fuhrwerk vorzuspannen; diese würden die
Reliquien dorthin bringen, wo die Heiligen beschlossen hatten, in den
kommenden Jahrhunderten zu ruhen. Auch heute noch sieht man am zweiten der
sechs Kapitelle ein Felsstück mit seltsamen Aushöhlungen und darüber auf
einem Wandfresko einen Wagen, der den Berg hinauffährt. Seither wachen die
hl. Viktor und Corona vom “schönen San Vetor” aus über Feltre. Der
Jahrestag am 14. Mai erinnert an das Martyrium der Heiligen, während die
Überführung der Reliquien am 18. September, dem “San Vettoret”-Fest,
gefeiert wird.