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Piemont: Die Heiligen Berge

Paolo Gianfelici



 Im Jahre 1493 begann man auf einem Felsvorsprung in Varallo in Valsesia das große Projekt des ‚Neuen Jerusalems’.

Biella (Tid-press) – Auf dem Heiligen Berg (Sacro Monte) von Orta befinden sich, verstreut in einem Park, zwanzig ab 1590 errichtete Kapellen; die Atmosphäre ist düster, bußfertig, fast friedhofsartig. Durch engmaschige Gitter versuche ich Szenen aus dem Leben des Hl. Franziskus zu erspähen, die in fast lebensgroßen, bemalten Terracotta-Statuen gezeigt werden. Die Wirklichkeit ist verdreht: Franziskus’ Geburt wird – wie die des Jesuskinds – in einem Stall dargestellt, während der Heilige doch in Assisi in eine sehr reiche Familie geboren wurde.

Auf die hier zur Zeit der Gegenreformation gestalteten Heiligen Berge in den Alpen stieg man nicht auf der Suche nach Feinsinnigem. Die Absicht bestand darin, mit jedem nur denkbaren Mittel die Bevölkerungen an der Südgrenze zum Protestantismus die „richtige“ Religion zu lehren, um sie gegen die Häresien immun zu machen. Die Figuren sind ungeschlacht, jedoch ausdrucksvoll; einige Szenen sind grob, aber von sicherer Gefühlswirkung, wie die mit Karnevalszenen, die S. Francesco nackt wie Christus, umgeben von Dutzenden anderer Personen, auf dem Kalvarienberg darstellen. Einige von ihnen sind als Frauen verkleidet, alle sind erregt und ins „Böse“ versunken.

Im Jahre 2003 hat die UNESCO entschieden, sieben im Piemont und einen der in der Lombardei (Varese) gelegenen Heiligen Berge ins Weltkulturerbe aufzunehmen. Sie liegen im Gebirge und sind von Wäldern und Almen umgeben. Die Stätten sind schon als solche interessant, so der Sacro Monte von Orta, von dem man die Aussicht auf den See und die Insel von S. Giulio genießt, oder der Sacro Monte von Graglia, eine Terrasse oberhalb der Ebene und der Hügel des Piemonts. Von hier hat man einen Ausblick, der an heiteren Tagen bis zu den weit entfernten Seealpen reicht. Oder das 1180 m hoch gelegene Heiligtum von Oropa, wohin die Bevölkerung der Poebene jahrhundertlang emporstieg, um religiösen Trost und … an den Hundstagen Abkühlung zu suchen, als man noch keine wirklichen Ferien machte.

Auf den Heiligen Bergen findet man selten Meisterwerke, sondern öfter Gemälde, Skulpturen und Bauwerke, die von Handwerkern und unbedeutenden Künstlern des 17. und 18. Jahrhunderts hergestellt worden sind und sehr gut die politisch-religiöse Mentalität jener Epoche repräsentieren, wie z.B. der Sacro Monte von Varallo, in Valsesia, der spektakulärste und älteste im Alpenbogen. Im Jahre 1493 begann man auf einem Felsvorsprung in Varallo das große Projekt des ‚Neuen Jerusalems’. Beabsichtigt war eine architektonische Rekonstruktion der Stätten der Heiligen Stadt für all jene, die sie nie hätten besuchen können.

In Varallo folgt man einem mystischen Königsweg durch die Stätten der letzten Lebensstunden Christi mit dem Platz der Gerichts, der Heiligen Treppe usw. Die 44 Kapellen sind dagegen Bühnen. Die Szenen werden mit sehr wirklichkeitsgetreuen Gemälden und Statuen veranschaulicht, um den Gläubigen fühlen zu lassen, dass er Zuschauer und Teilnehmer des Schauspiels ist. Der Heilige Berg von Varallo mit seinen 600 Statuen und 4000 Fresco-Figuren ist als ein „großes Bergtheater“ bezeichnet worden. Das gesamte Werk wurde erst im späten 18. Jahrhundert fertiggestellt.

Der Besuch der Heiligen Berge kann nur in Sordevolo in der Provinz Biella enden, wo die örtliche Bevölkerung seit 1850 alle fünf Jahre die Leidensgeschichte Christi aufführt. Dieses Passionsspiel unter freiem Himmel dauert fast drei Stunden, ist jedoch voller Rhythmus und voller Überraschungen. Die Kostüme sind prächtig und die Bühnenausstattung ist großartig. 1400 Personen widmen sich ohne Bezahlung zwei Jahre lang seiner Verwirklichung. Sie sind Bewahrer einer Tradition italienischer Volkskunst, die nur in Sordevolo auf einem derartigen Niveau überlebt.
Die Aufführungen des Jahres 2005 werden noch bis Ende September stattfinden.

Info:

www.atl.biella.it
www.passionedicristo.org (Associazione Teatro Popolare di Sordevolo)

“Übersetzung: Richard Brütting”

Der Sacro Monte von Varallo/Tid-press

Der Sacro Monte von Varallo/Tid-press

Santuario d’Oropa/Tid-press

Sordevolo: “La Passione”/Tid-press

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