Text und Fotos: TiDPress
Procida – An einem wolkigen Herbstmorgen hat das Meer einen silbernen Schein. Im Golf von Neapel sind die Inseln vom Nebel umhüllt, und man könnte glauben, sie wären nur ein schöner Scherz der Phantasie. Das kleine Boot bewegt sich sicher zwischen Ischia und Procida. Plötzlich öffnet die Sonne den Himmel, und die Farben kommen kraftvoll zum Vorschein. Blau, grün und braun sind die chromatischen Haupttöne von Himmel, Meer und Felsen, aber sobald das Boot die Bucht von Procida, Marina Corricella, erreicht, sieht man, wie die Farben zunehmen. Gelb, rosa, orange, grün, hellblau: Die Fassaden der kleinen Häuser der Insel sind wie ein buntes Puzzle. Wenn man vom Meer kommt, kann man über diese Einheitlichkeit nur staunen. „In Procida kann man sich total verlieben“, erzählt Bürgermeister Raimondo Ambrosino, „oder, im Gegenteil, sie nicht mögen“. Diese zweite Aussage scheint eher unwahrscheinlich, aber dass die Bewohner und die vielen Touristen, die hierher kommen, von Procida schwärmen, ist eine Tatsache.
Von Procida genießt man als Besucher doch die Ruhe, die Möglichkeit sich in einem Labyrinth von Gassen zu verlieren, die gewiss irgendwann zum Meer führen, dessen klare Oberfläche man von einer eindrucksvollen Höhe aus oder in mittelbarer Nähe bewundern kann. In Corricella reihen sich die Restaurants dicht am Meer, eins neben dem anderen. Auf den gemächlich schwankenden Booten lassen sich hin und wieder Möwen nieder, die darauf warten, dass die Menschen fertig gegessen haben, um ihre Ration zu bekommen. Auch diskrete Katzen bewegen sich unter den Tischen mit derselben Absicht. Fisch ist Hauptgericht, und selbstgemachter Limoncello rundet das Mittagessen ab.
Procida ist eine auf das Wasser konzentrierte Insel: In einer hoch spezialisierte Schule studiert man alle Berufe, die mit dem Meer in Verbindung sind. Man sagt, dass die Fassaden der Häuser darum bunt sind, damit diejenigen, die nach einer Arbeitsreise wieder die Insel erreichen, gleich die Möglichkeit haben, ihr Haus zu erkennen. Auf dem Kai von Corricella kann man Fischer treffen, die an ihren Netzen arbeiten. Einige Kinder sitzen auf einer Bank und schauen auf die Finger der Erwachsenen, als ob sie ein Theaterstück bewundern würden. Der junge „maestro d’ascia“ (Schiffszimmermann) Rosario Di Candia zeigt mit Stolz seine Arbeit: Er restauriert zurzeit ein Segelschiff, ein besonderes Modell, das „Lanzino di Coroglio“ heißt und sehr harmonisch aussieht. Das Holz glänzt, als ob es neu wäre. „So ein schönes Boot findet man nicht leicht“, lächelt Rosario, während seine Verlobte ihn mit Verehrung anschaut.
Danach ist mir der Schlüssel zur Insel klar. Schlichtheit und Liebe sind die zwei Elemente, die diesen Landstrich im Meer prägen. Man lebt in einer geschlossenen Gesellschaft, die sich auf die Unendlichkeit des Meeres öffnet, und die Alltäglichkeit ist von der regelmäßigen Bewegung der Wellen bestimmt. In der Nähe der Kirche Michele Arcangelo, auf dem höchsten Vorgebirge der Insel, befindet sich ein ehemaliges Gefängnis; das Schloss wurde im 16. Jahrhundert gebaut.
Info:
www.isoladiprocida.it