Florenz (TidPress) – Der Morgennebel umhüllt die Piazza Santa Maria Novella in Florenz und entrückt die Umrisse der Kirche und der Palazzi. Die Szene erscheint wie eine Daguerreotypie, eine Vorstufe der Fotografie. Auf diesem Platz, im Gebäude der Leopoldine aus dem 12. Jahrhundert, das Krankenhaus, Gefängnis und zuletzt Schule war, wurde kürzlich das neue Museo Nazionale Alinari della Fotografia (MNAF) eingeweiht.
„Ein Museum, das mit viel Liebe gestaltet wurde“, erklärt der Regisseur und Oscar-Preisträger Giuseppe Tornatore, der die Innenausstattung der sieben Säle des Museums plante. Ihn bewegte dieselbe Leidenschaft, die auch die Brüder Alinari seit 1852 zur Fotografie motivierte. Leopoldo Alinari eröffnete damals ein Fotolabor in Florenz und gründete das Familien-Unternehmen. Jetzt hütet das Alinari-Archiv mehr als 4.000.000 Bilder, die das visuelle Gedächtnis Italiens verkörpern.
R. Rive, Neapel, Matrosen-Familie, 1880 |
Die Holzfäller |
Das neue Museum der Fotografie musste zwangsläufig eine strenge Auswahl treffen. In den ersten drei Abteilungen kann der Besucher den langen Weg der Fotografie an sich vorbeiziehen lassen. Die Titel: Die Ursprünge; die goldene Zeit; die Ankunft der Avantgarde. Verblüffend ist zum Beispiel ein Bild aus dem Jahr 1860, das die römische Piazza Navona zeigt, die damals ein chaotischer Marktplatz war. Dagegen erscheint eine auf 1865 datierte Vedute mit der Kuppel von St. Peter wie ein modernes Foto.
Im ersten Saal, am Anfang der Geschichte der Fotografie, sorgt Tornatore für Atmosphäre. An den Wänden befinden sich die ersten Experimente, um Bilder „einzufangen“ und festzuhalten. Sie werden ergänzt von goldenen Rahmen, die von der Decke hängen und in denen moderne Technologie im stetigen Wandel alte Bilder auf eine Leinwand projiziert.
Eine der merkwürdigsten Ideen des Museums wurde für Blinde ausgedacht. Viele Bilder werden im Braille-Alphabet erklärt; daneben kann man sie plastisch mit den Fingern ertasten und „sehen“.
Der vierte Saal ist dunkel; das Licht kommt nur von Bild-Negativen, die von hinten angestrahlt werden. Um den Blinden zu erklären, was ein Bild-Negativ ist, wurde eine Pinie geschnitzt – einmal als Relief-Positiv, dann mit Vertiefungen oder eben als „Negativ“.
Steigt man eine Treppe hoch, hat man plötzlich den Eindruck, durch ein Schlüsselloch zu gucken: Man erblickt eine Kollektion von Foto-Alben. Familiäre Intimitäten sind in den Schaukästen aufgereiht, kleine Schätze, die zum Nachdenken anregen: Wie wertvoll war damals ein Foto, und wie leicht ist es heute, ein digitales Bild, das einem nicht gefällt, für immer zu löschen!
Das Museo della Fotografia will aber nicht nur von der Vergangenheit leben. Es wurde nicht als Lichtbilder-Mausoleum konzipiert, sondern hat mehrere Säle für befristete Ausstellungen. Nur so lernt man die Kunst des Fotografierens schätzen.
Die technischen Geräte, mit denen die Fotografie aus der Taufe gehoben und auf den heutigen Stand gebraucht wurde, zeigt die Sektion sechs: von einer riesigen und kunstvoll geschnitzte Fotokiste aus Holz bis zum ersten Handy mit Kamera.
Auf diesem Schwenk über die Apparaturen folgt noch eine Kuriositäten-Ausstellung: Postkarten, Werbung, Textilien, Keramik, Schmuck und was sonst noch alles mit Hilfe von Fotos fabriziert wurde.
„Dieses Museum hat eine strahlende Zukunft, wie die Fotografie!“, sagt Tornatore. Einem Regisseur seiner Klasse mag man dies glauben, aber wo bleibt der Zauber der Daguerrotypien, jetzt da die Sonne den Nebel weggefegt hat und die Umrisse der Piazza Santa Maria Novella wieder klar erscheinen? Die Touristen schießen digital ein Bild nach dem anderen. Heute geht alles blitzschnell und erfordert weniger Kontemplation.
Info:
Museo Nazionale Alinari della Fotografia (MNAF)
Piazza Santa Maria Novella 14 a r, Firenze
Tel. +39 055 216310
mnaf@alinari.it
www.alinari.it
13.11.2006