Terra Italia

ReiseLiving Florence?

Text und Fotos: Paolo Gianfelici



 In den europäischen Kunststädten wollen die Touristen neben dem Besuch von Museen auch am Alltagsleben der Einwohner eilnehmen. Was aber geschieht in Florenz?

Firenze (TidPress) – Living Zürich, Living Salzburg, Living Heidelberg! Mit diesem Slogan präsentieren sich viele europäische Kunststädte auf den Börsen des Welttourismus. Man lädt die Besucher ein, am Alltagsleben teilzunehmen, so z.B. in Zürich. Was soll dadurch mitgeteilt werden? Vor allem, dass die Züricher ihre Stadt lieben und achten, sodann die Bereitschaft, mit den Gästen von außerhalb die Freude zu teilen, hier leben zu dürfen.

Forte Belvedere

Piazza S. Spirito

Touristen gelten nicht als Störenfriede und nicht einmal als ein notwendiges Übel, um die Einnahmen zu steigern. Sie machen ihre Einkäufe in den Geschäften der Bahnhofstraße und sitzen in den Cafés zusammen mit Zürichern an den Tischen. Sie benützen die pünktlichen, häufigen und beliebten Trams, um zu den Museen und Kunstausstellungen zu gelangen und um die Uferpromenade und den See zu bewundern. Die Einwohner der Stadt, seien es Schweizer oder nicht, sind an den gleichen Orten, in den gleichen Lokalen und in den gleichen Verkehrsmitteln anwesend.

Ich bin in Florenz gewesen, nachdem ich einige Tage in historischen Städten Deutschlands verbracht hatte – und habe nichts von alledem gefunden. Massen von Touristen verstopfen die Piazza Signoria, den Domplatz, die Umgebung der Uffizien und die benachbarten Straßen. Wo jedoch sind die Florentiner, abgesehen von den Museumswärtern, den Angestellten der Läden und den Kassierer in den Kneipen? Von den Tischen der abscheulichen Imbiss-Bude gegenüber dem Dom S. Maria del Fiore hört man nur Sätze in Englisch. Hier gehen die Florentiner gezwungenermaßen nicht zum Essen: Sie ist noch häßlicher als die Kioske von Pristina und Tirana.

Gehe ich dagegen der Costa di San Giorgio entlang zum Fort Belvedere, so kann ich unter mir das Gewimmel Tausender von Personen beobachten, die sich auf der anderen Arno-Seite bei den Uffizien befinden. Warum werden alle diese Leute jetzt, da die Jahreszeit sich immer weiter aufheizt, nicht angezogen und gehen in höher gelegene Stadtteile, ins frische Grün, und zwar auf Wegen, die in mehreren Sprachen angezeigt werden? In 15 Minuten gelangt man an einen ruhigen Fleck Erde in einer Straße mit kaum Verkehr. Sie ist von hohen Mauern gesäumt, welche alte und kostbare Gärten verbergen.

Nach dem Aufstieg in der Höhe angekommen (während meiner Wanderung haben meinen Weg lediglich drei ältere Damen aus Deutschland gekreuzt), freue ich mich schon auf den Genuss, das Fort Belvedere zu betreten, dort auf dem Wehrgang zu laufen und das sich längs des Arnotals erstreckende Florenz mit seinen ergrünten Hügeln zu bewundern. Nichts von alledem! Das Fort ist an diesem Tag geschlossen, und an den anderen Tagen ist es nur drei bis vier Stunden geöffnet. Ich hätte keinen Einwand, wenn nur die Palazzina geschlossen wäre, welche die Ausstellungen beherbergt. Dagegen ist die gesamte Grünfläche, der Ort mit dem faszinierendsten Panoramablick auf Florenz, fast immer unzugänglich.

Ich gebe mich nicht geschlagen und nach hundert Metern versuche ich, die nahe gelegenen Boboli-Gärten durch eine fast unsichtbare Pforte zu betreten. Ich folge einer Familien-Gesellschaft: der Vater schiebt den Kinderwagen, ihm folgen Mutter und ein zweites Kind. Sie gehen weiter nach einem Kennwort, ich aber werde von einem Wärter aufgehalten, der verlangt, einen Ausweis vorzuzeigen, der meinen Wohnsitz in der Gemeinde Florenz bestätigt. Da dies bei mir nicht der Fall ist, müsste ich eine Eintrittskarte für neun Euro bezahlen und einen Gewaltmarsch machen, um den Ausgang der Boboli-Gärten beim Palazzo Pitti zu erreichen, und zwar bis 18.00 Uhr, dem Ende der Öffnungszeit. Ich verzichte auf diesen tour de force.

Auf dem Rückweg gehe ich die lange und steile Treppe hinunter, die von der Costa San Giorgio zum Lungarno führt. Viele Stufen sind zerbröckelt. Ich bin mir sicher, dass die Bewohner dieses ruhigen, eleganten und äußerst zentralen Stadtviertels von Florenz darüber froh sind. Sie denken an den Genuss ihres Living Florence und haben keinerlei Lust, dieses mit Unruhestiftern von außerhalb zu teilen.

(Übers.: Richard Brütting)

29.05.2008

Piazza S.Spirito

Costa San Giorgio

Weiterleiten:

© Copyright TidPress Terra Italia.