Terra Italia

Toskana: Castiglione d’Orcia erleben

Hier geht es nicht darum, die Zeit anzuhalten, sondern die Gegenwart mit Respekt und Schönheit zu formen. Neben der Schönheit des Gebietes lernt man die Gastfreundschaft der Bewohner zu schätzen.

Toskana: Castiglione d’Orcia erleben

Text und Fotos: Lisa Mittelberger

Die herrliche Schönheit und die Einfachheit: Diese beiden Worte definieren meiner Meinung nach die Gemeinde Castiglione d’Orcia. Das Val d’Orcia ist eine ständige Quelle des Staunens. Es wurde zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt, gerade weil der Eingriff des Menschen in die Natur es zu einem Meisterwerk gemacht hat. Eine Geschichte, die weit zurückreicht, aber ein grundlegendes Merkmal in sich trägt: den Willen der Bewohner dieses Gebiets, Schönheit zu schaffen und zu bewahren.

Nach einer erholsamen Nacht in einem der in Bed & Breakfast umgewandelten Häuser von Castiglione d’Orcia gehe ich zum Frühstück in die Bar. Es ist ein schöner Morgen im späten Frühling und die Ruhe des Dorfes ist vielversprechend. Ich mache einen Spaziergang zur Bar „L’Appalto“ durch die Gassen von Castiglione d’Orcia und sofort eröffnet sich mir das Spektakel des Tals, das ich vom städtischen Aussichtspunkt aus bewundere. Es ist noch früh und ein feiner Nebel liegt über den sanften Hügeln, den Wäldern und den Zypressenreihen. Es scheint, als ob ein Maler Farbproben macht, um mit dem Glanz der tief hängenden Wolken das Ganze noch faszinierender zu gestalten. Weiß auf Weiß: Durch den dramatischen Nebel sehe ich gelegentlich das „Stickmuster“ der weißen Straßen, die das ganze Tal durchziehen. Ein fensterloser Fensterrahmen macht diesen Aussichtspunkt noch attraktiver, der zu dieser Stunde ganz für mich allein ist.

Castiglione d’Orcia, Piazza Il Vecchietta

An den draußen stehenden Tischen sitzen mehrere Leute. Es herrscht gute Stimmung, aber die echte, nicht die, die durch den Zwang, glücklich zu sein, gefiltert wird. Niemand schaut aufs Handy. Man frühstückt und unterhält sich, unterbrochen von ein paar gutmütigen Sticheleien, die ein Lachen auslösen. An der Theke wähle ich zwischen verlockenden Croissants und Gebäck, die sich beim Hineinbeißen als frisch und köstlich erweisen. Ich bin nicht überrascht von der Sorgfalt, mit der die Bar geführt wird, und von der Qualität der Produkte, denn mittlerweile habe ich die Lebensphilosophie der Bewohner von Castiglione d’Orcia verstanden und möchte sie genießen.

Das Auf und Ab der Gassen führt mich zur Piazza Il Vecchietta, wo sich das Rathaus befindet. Auf diesem abfallenden und dreieckigen Platz mit dem quadratischen Brunnen scheint mir alles perfekt: die steinernen Fassaden der Gebäude, das Kopfsteinpflaster des Bodens, die Morgenschatten, die eine passende Kulisse schaffen. Eine ältere Dame mit weißen Haaren und Hausschuhen an den Füßen kommt aus einer der Türen mit einer Gießkanne in der Hand und beginnt, die Pflanzen zu gießen, die den Platz aus einigen Metallschalen erheitern. Als sie bemerkt, dass ich sie anschaue, lächelt sie mich an und sagt: „Diese Blumen gehören dem Bürgermeister, aber ich lasse sie nie ohne Wasser“. Es ist ein Satz, der eine ganze Welt erzählt: In Castiglione d’Orcia erlebt man auch als Besucher die Authentizität des Ortes und entdeckt vor allem, dass die Bewohner die ersten sind, die ihn lieben und wenn man ein paar Tage hier verbringt, lernt man neben der Schönheit des Gebietes auch die Gastfreundschaft der Bewohner zu schätzen. In Castiglione d’Orcia geht es nicht darum, die Zeit anzuhalten, sondern die Gegenwart mit Respekt und Schönheit zu formen.

Castiglione d’Orcia, Blick auf die Rocca di Tentennano

Die Burg, die im 10. Jahrhundert von der feudalen Familie Aldobrandeschi di Santa Fiora erbaut wurde und über Castiglione d’Orcia thront, ist in dieser Hinsicht mit einem Laufsteg aus Cortenstahl ausgestattet worden. Dieser Stahl erscheint rostig, aber ist mit einer Patina überzogen, die seine Oberfläche schützt. Das Material fügt sich perfekt in die alten Mauern ein, und der Weg rund um den Bergfried bietet viele Emotionen. Neben der wunderschönen Landschaft, die die nahegelegene Rocca di Tentennano und die Dächer von Castiglione d’Orcia umfasst, bewundert man beim Spaziergang auf dem Laufsteg die Apsis der winzigen romanischen Kirche aus dem Jahr 1000, die während der Arbeiten gefunden wurde. An einer Stelle des Weges kann man sogar einen Fuß auf die Mauern setzen und ihre unberührte Faszination aus nächster Nähe spüren.

castiglionedorcia.siena.it

www.visitvaldorcia.it

Weiterleiten:

© Copyright TidPress Terra Italia.