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Die Authentischen Dörfer Italiens: Acquaviva delle Fonti in Apulien

In warmen Sommernächten ersetzen reale Begegnungen die virtuellen. Entdeckung des fürstlichen Palasts De Mari und seiner normannischen Fundamente und Türme unter der Führung des Archäologen Austacio Busto

Die Authentischen Dörfer Italiens: Acquaviva delle Fonti in Apulien

Text und Fotos: Paolo Gianfelici

Acquaviva delle Fonti – Es ist fast Mitternacht, die Piazza dei Martiri ist jedoch noch voller Leben, Lichter und Musik. Zum Abendessen setzen wir uns an einen Tisch im Freien, in der Nähe des Palasts De Mari, einer fürstlichen Residenz, die über einer früheren Normannenburg im barocken Stil erbaut wurde. Der Uhrturm und die Renaissance-Kathedrale S. Eustachio vervollständigen die Szenerie.
Kühle Luft macht die Nacht angenehm und das Abendessen mit lokalen Speisen und Getränken noch genussvoller. Die Rote Zwiebel von Acquaviva ist hier die Herrin: Sie wird in Form von Marmelade zu herzhaftem Ricotta (er ist weich und cremig, hat einen stechenden Geruch und einen scharfen Geschmack) gereicht. Mit Essig und dem kräftigen Olivenöl Apuliens verfeinert, ist „Cipolla Rossa“ die Beilage zu Fleischspießen. Der Primitivo-Rotwein ist noch delikater als der markige Geschmack der Speisen und somit in einer Sommernacht besonders beliebt.

Das Tischgespräch mit den Freunden von Acquaviva dauert bis zwei Uhr am Morgen. Die Bedienung des Restaurants zeigt keine Anzeichen von Ungeduld. Vorbeikommende Bekannte gesellen sich zu uns und machen das Gespräch noch angenehmer und lebendiger. Ich bin in das Herz eines authentischen Dorfs von Apulien gelangt.

Als wir vom Tisch aufstehen, sind nur noch wenige Leute in den Straßen. Wir laufen durch enge, mit alten Steinplatten gepflasterte Gassen und kommen an einen kleinen Platz. Eine zeitgenössische Kunstinstallation zeigt vier Wassertropfen, die auf einen Stein fallen. Dies ist das Symbol von Acquaviva delle Fonti (‘Quellen lebendigen Wassers’). Der Ort wurde über Kalksteinschichten errichtet, die von ergiebigen Wasseradern durchzogen sind.

Am nächsten Morgen findet mit dem Kulturamtschef, dem Archäologen Austacio Busto, eine geführte Besichtigung des Palazzo De Mari statt. Der Palast, heute Sitz der Gemeindeverwaltung, war mehr als zwei Jahrhunderte lang die Residenz der Fürsten De Mari, die ihn mit Salons, Arkaden und barocken Ausblicken bereichert haben.
Sehr seltsam sind Dutzende von Masken, die weit oben an den Fassaden angebracht sind. Viele scheinen sich über die Passanten lustig zu machen, indem sie ihnen die Zunge herausstrecken. In Wirklichkeit handelt es sich um Unheil abwehrende, beschwörende Figuren, die böse Einflüsse fernhalten sollen.
Oben im Palast genießt man ein überaus schönes Panorama: Neben Kirchtürmen und der modernen Stadt erstreckt sich vor dem Besucher die bis zum Meer reichende Ebene, die mit Hunderttausenden von Olivenbäumen bedeckt ist. Die Hügel sind bepflanzt mit „Alberelli“, den niedrig wachsenden Weinstöcken des Primitivo-Rotweins.

Wir steigen zu den Grundmauern des Palastes hinunter und bewundern die mächtigen, durch neue archäologische Grabungen ans Licht gekommenen Fundamente der normannischen Burgtürme. Die Führung geht längs der Sant’Angelo-Mauer weiter. Die Überreste der ehemaligen Stadtmauern sind großenteils verschwunden oder wurden in Wohnhäuser integriert, wodurch sie nicht völlig untergegangen sind: Die großen, unregelmäßigen Steine, die an den Fassaden einiger Häuser hervorstehen, verleihen dem Stadtviertel ein faszinierendes mittelalterliches Flair, ebenso die dortigen, über das historische Zentrum verstreuten alten Brunnen, die den traditionellen Reichtum der Stadt an Wasser bezeugen.
Der Rundgang zu Fuß endet, wo er begonnen hatte: an der Piazza dei Martiri, an der die Renaissance-Kathedrale S. Eustachio mit ihrer großen, reich verzierten Krypta steht.

Gemäß der Tradition Süditaliens belebt sich die Stadt in der heißen Jahreszeit nach einer langen Pause am Nachmittag erst gegen Abend. Die Gärten der Piazza Vittorio Emanuele in der Nähe des historischen Zentrums sind voll von Familien mit ihren Kindern. Im Mittelpunkt steht die Cassarmonica, eine monumentale Konstruktion, die in den 1930er Jahren eröffnet wurde und Musikgruppen beherbergt.
Seitlich unter den Bäumen bietet “Il Carrettino” seit 1940 Eis ausschließlich mit Zitronengeschmack an. Dieser ist ebenso intensiv wie das Aroma der Frucht. Der Rundweg der „Fünf Sinne“ führt weiter zu den im Freien stehenden Tischchen des Café Chantilly an der Piazza Garibaldi. Die Kaffee-Granita mit Schlagsahne ist eine Spezialität Süditaliens (und von Rom). Wie mir aber scheint, habe ich niemals eine so gute Sache probiert wie hier. Dank der Stärke und der Qualität des eisgekühlten, ganz fein gemahlenen Kaffees und dank der durchdachten Schichtung von bester Schlagsahne und Kaffee ist ein hervorragendes Produkt von großer Leichtigkeit entstanden.

Ich kehre zum historischen Zentrum zurück, wo eine sommerliche, lärmende Stimmung herrscht. Die Leute begegnen einander per Zufall, man grüßt sich und hält ohne Eile zu einer Plauderei an. Die Begegnungen aus Fleisch und Blut ersetzen die virtuellen. Ich sehe wenige Personen, die ein Smartphone benutzen. Nach diesem “Bad” in authentischer Menschlichkeit, bestehend aus einem herzlichen Händedruck, einem freundschaftlichen Lächeln und aus Sätzen, denen der Gesprächspartner zuhört (woran wir immer weniger gewohnt sind), gerate ich in einen Winkel, der lediglich von Tischchen der Metzgerei Romano belegt ist, zu der ein Restaurant für Rindfleischgerichte gehört. Begleitet werde ich von Antonio, einem pensionierten Pferdemetzger, den ich zufällig kennen gelernt habe. Wir setzen uns an einen Tisch und probieren die Wurst (Kalbfleisch mit Tomaten) und die Cannuoli, gegrillte Fleischrouladen. Als Beilage gibt es selbstverständlich die Rote Zwiebel von Acquaviva.

Äußerst beschäftigt zwischen Metzgerei und Restaurant ist Dino, der Rindermetzger, der von seinem Vater Pierino diesen Beruf geerbt hat. Er findet aber die Zeit, befreundete Gäste zu grüßen, mit ihnen zu sprechen und zu scherzen. Ich erwidere sein Lächeln mit gleicher Herzlichkeit. Der einfache und unmittelbare Geist des Authentischen Dorfs ist ansteckend. Probieren geht über studieren!

Info:

Comune di Acquaviva                  www.comune.acquaviva.ba.it

Consorzio della Cipolla Rossa di Acquaviva

www.ctvacquaviva.it                 info@ctvacquaviva.it

Cuore della Puglia        www.cuoredellapuglia.it

Übers.: Richard Brütting

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