Text und Fotos: Paolo Gianfelici
Erster Tag
15.00 Uhr – Entlang der Radroute nach Treviso
An der Hausboot-Basis in Casale sul Sile (Treviso) warten die Boote darauf, in Richtung Lagune von Venedig gesteuert zu werden. Ich steige in mein Boot, das mit vier Kabinen, alle mit eigenem Bad und Dusche, ausgestattet ist. Wir werden am nächsten Tag abreisen.
Vom Boot aus kann man durch die Bäume und Büsche den Radweg erkennen, der den Naturpark am Fluss Sile bis nach Treviso durchquert. Die Hausbootbasis verfügt über Dutzende von Fahrrädern; nach einer Viertelstunde bewundere ich auf einem Holzsteg eine Süßwasserschildkröte und ein Wasserhuhn, die scheinbar gute Freunde sind. Unter dem Schilf und der Segge tauchen seltsame Wracks auf: Es sind die „burci“, die großen Transportboote der Vergangenheit, die dort vor einem halben Jahrhundert verlassen worden sind, wo der Sile breit und ruhig wird.
Nach neun Kilometern erreiche ich Treviso, die Stadt der Kanäle und des klaren Flusswassers. Das historische Zentrum ist ein kleines Juwel mittelalterlicher Kunst. Ich mache eine Pause in einem Teehaus hinter der Kathedrale und fahre auf dem Radweg zurück nach Casier.
20.00 Uhr – Die Aromen der Treviso-Küche
Die Osteria „Alla Pasina“ in Casier befindet sich in einem alten venezianischen Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert. Der Koch Giancarlo Pasin und seine Frau Teresina, die mit einem kleinen Restaurant angefangen haben, in dem nur Wein, die typischen „ombrette” zusammen mit „cicchetti”, also Kleinigkeiten, serviert wurden, sind Liebhaber der traditionellen Treviso-Küche, insbesondere des Radicchio. Leider ist die Saison des Radicchio Rosso di Treviso ggA. schon vorbei. Ich muss mich mit einem leckeren Risotto mit Wildkräutern, Ravioli und gefülltem Perlhuhn „zufrieden geben“. Alles begleitet von Prosecco.
23.00 Uhr – Das Rauschen des Flusses
Ich kehre zum Boot zurück: Dunkelheit, Wasser und Wäldern umgeben mich, und bevor ich ins Bett gehe, halte ich eine Art Dialog mit dem Fluss, der sich durch ein leichtes Wippen und ein musikalisches Schwappen ausdrückt.
Zweiter Tag
8.00 Uhr – Schifffahrt-Schule
Die Kombüse in der Küche ist für das Frühstück ausgestattet, das ich im komfortablen Wohnbereich unter Deck einnehme. Danach mache ich einen Crashkurs, um die Geheimnisse und Techniken der Bootsführung zu lernen (wir sind alle ohne Führerschein, der ist auf diesem Bootstyp nicht erforderlich). Ich erhalte Informationen zu den Regeln der Schifffahrt in Binnengewässern und zu den möglichen Reiserouten. Carlo Moretti (der Eigentümer der Firma) spricht mit solcher Leidenschaft über das langsame „Schippern“, dass ich gleich losfahren will.
12.00 Uhr – Entlang des Sile, mit Kurs auf die Lagune
Der Regen und das hohe Wasser in der Lagune verzögern unsere Abfahrt. Die Ufer des Flusses Sile sind von dichter Vegetation bedeckt, so von Trauerweiden und Büschen, zwischen denen man den Radweg erblickt. Wir fahren mit 5-6 Knoten Geschwindigkeit, und die seltenen Radfahrer überholen uns leicht. Wir kommen an einigen venezianischen Villen vorbei und an einem ungewöhnlich blau lackierten Wasserkran, der die Güter auf die Lastkähne in Richtung Hafen von Venedig lädt. Wir passieren eine Schleuse und nähern uns der Lagune. Die Bäume am Ufer werden immer spärlicher. Die Grenzen zwischen Land und Wasser beginnen ihre klaren Konturen zu verlieren. Als wir die Lagune erreichen, öffnet sich der Himmel, und die Sonnenstrahlen lassen den Wasserspiegel silbrig erscheinen. Eine seltsame, weiße Helligkeit charakterisiert den Himmel der Lagune.
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14.30 Uhr – Eine bunte Mittagspause
Für die Mittagspause machen wir die Boote am Anlegeplatz Mazzorbo fest. Vom Boot aus blicke ich auf den Glockenturm von Sant’Angelo und einen schönen Garten, der mit den Farben und Düften des Frühlings die farbenfrohen Häuser von Burano bereichert.
16.30 Uhr – Die Zypressen von San Francesco del Deserto
Wir fahren nach San Francesco del Deserto. Ein Wald aus sehr hohen Zypressen macht diese Insel auch aus der Ferne gut sichtbar. Sie wurde vom Heiligen Franziskus ausgewählt, als er aus Palästina zurückkehrte, um ein neues Kloster zu gründen. Ein junger Mönch, bis vor wenigen Jahren ein Computeringenieur, führt uns zum mittelalterlichen Kreuzgang und zur Kirche. Ein kurzes Gebet schließt das Treffen ab. Die Besucher haben die Erlaubnis, alleine herumzuspazieren, und ich schaue über ein geschlossenes Tor, wo sich ein zweiter Renaissance-Kreuzgang befindet. Dieser Teil des Klosters kann nur von Gästen betreten werden, die sich hier am Wochenende eine Pause auf der Suche nach Stille, Ruhe und Meditation gönnen. Ich spaziere weiter im Garten zwischen Wiesen und blühenden Bäumen und gelange zu der alten Mauer, von der ich auf die Lagune blicken kann. Die Grenze zwischen Land und Wasser ist nicht klar zu sehen. In der Ferne sieht man die Profile des Glockenturms und der Häuser von Burano und Mazzorbo, aber es ist, als ob sie zu einer anderen Welt gehören, denn San Francesco del Deserto ist eine Welt für sich, isoliert von der Lagune, umringt von Zypressen, aber offen für diejenigen, die die Insel besuchen wollen.
19.00 – Sant’Erasmo, der „Gemüsegarten“ von Venedig
Wir erreichen die Insel Sant’Erasmo, den Gemüsegarten von Venedig. Direkt vor dem Anlegeplatz beginnt ein Pfad, der entlang eines Kanals durch die Felder der Insel führt. Ein Bewohner erzählt mir, dass sich jetzt nur wenige Leute ganz der Produktion von Artischocken oder anderem Gemüse widmen. Das frische und herzhafte Gemüse von Sant’Erasmo wird in große Körbe verpackt und von einigen Unternehmen direkt nach Venedig gebracht. In der Tat erwecken die Felder den Eindruck, dass sie schlecht gepflegt sind. Auf der anderen Seite der Insel blicke ich in der Ferne auf das letzte sich noch im Bau befindliche Stück des „Mose“ (jeder Venezianer behauptet, die mobilen Hochwasser-Deiche seien ein nutzloses Werk).
20.30 Uhr – Die klangvolle Stille der Lagune
Auf dem Dock wird ein Buffet-Dinner mit der freiwilligen Unterstützung des Besitzers des einzigen Lebensmittelgeschäfts organisiert. Der Tintenfisch mit Tomatensauce ist sehr zart und die „sarde in saor“ lecker. Den Rotwein finde ich eher anonym und bevorzuge eine gute Flasche Prosecco. Die dreihundert Einwohner der Insel gehen früh ins Bett. Niemand stört die Ruhe von Sant’Erasmo.
Der Klang der Lagune umgibt mich. In der Ferne sieht man die Lichter von Venedig, und die Form des Glockenturms auf der Piazza San Marco ist deutlich sichtbar.
Info:
Houseboat bietet Bootsurlaub auf navigierbare Kanäle, um zum Beispiel die Schätze der Region Venetien zu erkunden. Man kann die Boote mieten; es ist kein Bootsführerschein erforderlich