Text und Fotos: Paolo Gianfelici
Ischia – Das Massiv des Monte Epomeo erstreckt sich beinahe über die gesamte Oberfläche der Insel. Man befindet sich in einer drängenden Gegenwart von Wäldern, hochgelegenen Weinbergen und grünem Tuff. Die Touristen finden selten die Zeit, all dies zu erkunden, da sie vom Meer, den Stränden und von Thermalwasser angezogen werden, wofür Ischia in der ganzen Welt berühmt ist.
Am frühen Morgen habe ich einen Termin in Serrara Fontana (600 m über dem Meeresspiegel), um Agostino, den örtlichen Führer zu treffen. Das Panorama ist entzückend: Unter uns, an den Steilhängen des Bergs, befinden sich Weinberge, in denen zur Lese anstehende weiße Trauben hängen, weiterhin das Vorgebirge von Sant’Angelo und das Meer, das an der Küste grün und in der Ferne blau erscheint. „Jahrhundertelang war dies eine Insel des Ackerlands und der Bauern“, erklärt Agostino. „Fast niemand war Seemann oder Fischer. Denn je weiter man sich vom Meer entfernt hielt, umso besser war man dran.“ Vom Meer kamen „ungebetene Gäste“, angefangen bei den Piraten, die Ischia bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fast jedes Jahr im Sommer überfielen und Beute machten. Die Einwohner versteckten sich in der Höhe in den Wäldern, in Häusern, die in den grünen Tuff gehauen waren. Die Natur ließ die Insel ins Meer versinken und nach Erdbeben und vulkanischer Tätigkeit wieder auftauchen; damit hat sie die Insel aus einem Material erbaut, das seine grüne Farbe dem langen Kontakt mit Wasser verdankt.
Mitten in einem Robinienwald führt der Pfad an einem großen Steinblock vorbei. Wir gehen um ihn herum und entdecken eine Tür. Wir treten ein. Der Fels ist ausgehöhlt und wurde bewohnbar gemacht, indem ein Kamin sowie Tische und Steinbänke hergestellt wurden. An der Decke befindet sich ein großer Haken: Er diente dazu, Speisen aufzuhängen, um sie vor den Mäusen zu schützen. Mindestens 20 derartige Konstruktionen befinden sich längs des Pfads des grünen Tuffs. An der Schwelle einer dieser Bauten sind ein Kreuz und die Jahreszahl „1666“ eingemeißelt.
Weiter auf dem Waldweg kommen wir zu einem aus einem gewaltigen Felsblock geformten “Palmetto” – so wird in Süditalien ein Ort genannt, der sich zum Keltern und zur Gewinnung von Most eignet. Der Bauer hielt so während der sommerlichen Sarazenen-Einfälle neben der eigenen Familie auch den im nahen Weinberg hergestellten „Schatz“ verborgen. Er hatte in den Stein kommunizierende Behälter gemeißelt, in denen sich der Most verteilte. Wenn dann später im Herbst die Gefahr vorüber war, wurde der Wein auf dem Rücken von Eseln in kleinen Fässern zu Tal befördert.
Das Leben auf der Insel war nicht leicht, nicht nur wegen der Piraten. Heute ist der grüne Tuff das bewunderte Symbol von Ischia. Aber bis kurz vor einem Jahrhundert war es möglich, dass Geröllmassen, die sich vom Fels lösten, bis ans Meer zu Tal stürzten und Todesopfer forderten. Um diese Bergstürze zu mindern, wurden Trockenmauern („Parracine“) gebaut und Robinien gepflanzt. Beim weiteren Aufstieg auf den Gipfel des Monte Epomeo wandere ich durch Kastanienwälder. Aus den Früchten machte man Mehl, die Nahrungsgrundlage in der Vergangenheit.
Inmitten der Bäume finden wir ein “Schneeloch”. Es ist dies eine große, mit Steinen ausgekleidete Vertiefung, in der sich im Winter der Schnee anhäufte. Das Loch wurde früher mit Balken und Kastanienblättern bedeckt, um die Umwandlung in Eis zu fördern, das während der Sommermonate sehr nützlich ist.
Der letzte Abschnitt, um auf den Gipfel des Bergs zu gelangen (789 m), ist anstrengend. Ich lege meine Nikon in den Rucksack zurück und konzentriere mich auf den Aufstieg, komme aber nicht umhin, auf dem Bergkamm die „Madonna mit dem Kinde“ zu bewundern. Die von der Natur geschaffene Figur trägt diese herkömmliche Bezeichnung. Der grüne Tuffstein ist leicht von Wind und Regen zu formen. Einige Felswände am Gipfel sind vollkommen konkav. Auf anderen bilden sich Gittermuster, die eine perfekte Kopie der Waben eines Bienenstocks sind. Die in den Fels gehauene Einsiedelei San Nicola wurde bis 1940 bewohnt. Dem Hörensagen nach soll der letzte Eremit zehn Kinder gezeugt haben, nachdem er diese verlassen hatte und ins Tal hinunter gestiegen war. Vor steil abfallendem Fels hat man auf dem Gipfel einen Rundblick von 360 Grad. Nicht ratsam für jemand, der nicht schwindelfrei ist. Eine auf einem Felsvorsprung sitzende Frau meditiert in einer Yoga-Haltung. Der Monte Epomeo soll eine jener Stätten sein, von der aus man Zugang zur mythischen, vom Schriftsteller Willis George Emerson beschriebenen Unterwelt von Agarthi hat.
Der Pfad führt nun hinunter nach Serrara Fontana, unserem Ausgangspunkt. Wir haben einem Rundgang um den Berg gemacht und sind dabei auf den Gipfel gestiegen. Wir gelangen an ein Chalet, wo die Agostinos Partnerin und seine Schwester Gegenstände des örtlichen Kunsthandwerks verkaufen und im Schatten des Walds auf Tischen aus Kastanienholz Delikatessen servieren. Die Produkte (Wein, Käse, Brot, Gemüse, Honig, Marmelade) stammen aus dem nahen Bauernhof „Colture Agricole Ischitane“. Die beiden Mädchen bereichern sie mit ihrer Fantasie – die Zusammenstellung ist bestens gelungen. Das Ergebnis ist leicht und geschmackvoll. Uns umfassen eine frische Brise und die Stille des Bergs.
Informazioni utili:
Agostino Iacono (Führer)
Via Epomeo, 22 Serrara Fontana, Mobil +39 333 25 21 882, mail: ago-miscillo@Hotmail.com