Text und Fotos: Richard Brütting
Palermo – An Weihnachten 1130 wurde Ruggero II. di Altavilla von (Gegen-)Papst Anaklet II. zum ersten König von Sizilien (und Unteritalien) gesalbt. Dem klugen Herrscher gelang es, vier Religionen (katholisches und orthodoxes Christentum; Islam und Judentum) sowie fünf Völker (Araber, Griechen, Juden, Lombarden, Normannen), die weitgehend ihre eigenen Gebräuche beibehalten durften, in einen gut verwalteten, zentralistischen Beamtenstaat zu integrieren. Im Gründungsjahr des neuen normannischen Königreichs wurde auch die Sizilianische Curia eröffnet, die älteste Volksvertretung Europas (die aber sicher nicht auf modernen demokratischen Prinzipien beruhte) mit Traditionen bis heute. Der seit der Eroberung Palermos 1072 durch den normannischen Großgrafen Roger de Hauteville (Ruggero I.) als Herrschersitz genutzte Palazzo Reale (sog. Normannen-Palast) ist seit 1947 Sitz des Parlaments der autonomen Region Sizilien. Für den Palast verwendeten und vergrößerten arabische, griechische und normannische Architekten die Bausubstanz eines byzantinischen und arabischen Schlosses, die ihrerseits auf den Resten einer punischen, später römischen Bastion beruhte. Den Abschluss des Gebäudekomplexes gegen Nordwesten bildet die in manieristischem Barock gestaltete Porta Nuova, die zur verkehrsberuhigten Via Vittorio Emanuele führt.
Der labyrinthische Normannenpalast ist der älteste Herrschaftssitz Europas, dessen Grundmauern bis ins 7. Jahrhundert v.Chr. zurückgehen. Bis ins 19. Jahrhundert wurde er immer wieder umgebaut, um den wechselnden Herrschaftsverhältnissen zu entsprechen; ein Beispiel hierfür ist der Innenhof mit seinen eleganten Renaissance-Arkaden. Zeitweilig war der Palast sogar Sitz der Inquisition. In seiner Monumentalität, seinen gewaltigen vier Türmen und mit seiner künstlerischen Pracht sollte er die ruhmvolle Gegenwart und Zukunft des normannischen Königtums widerspiegeln und legitimieren, das sich von Gott selbst eingesetzt betrachtete und darum auch in kirchlichen Angelegenheiten, so bei der Einsetzung von Bischöfen, selbstherrlich handelte – ungeachtet des gleichzeitigen Investiturstreits zwischen den Päpsten und den deutschen Kaisern. Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen beherbergte im Palast die Minnesänger der. „Sizilianischen Dichterschule“. Ihr gehörten der Kaiser selbst, sein natürlicher Sohn Enzo sowie hochgebildete Wortkünstler an, die nach arabischen, griechischen, lateinischen, okzitanischen und französischen Vorbildern die ersten Werke einer eigenständigen italienischen Literatur schufen.
Das Wunderwerk der Cappella Palatina im Königlichen Palast wurde von Graf Ruggero II. zwei Jahre nach seiner Thronbesteigung (Weihnachten 1130) in Auftrag gegeben und nach zehnjähriger Bauzeit eingeweiht. Sie sollte in besonderer Weise den Großmachtanspruch von Ruggero II. hervorheben und das Zentrum der Welt symbolisieren. Die Pfalzkapelle, das Herzstück des Normannenpalasts, ist ein Musterbeispiel für religiösen und kulturellen Synkretismus. Arabische, griechische und lateinische Inschriften zieren die vollständig mit Goldmosaiken und buntem Marmor belegten Wände. Die Fußböden sind mit Mustern in der Technik des Opus sectile verziert. Die bemalte Intarsien-Holzdecke ist ein einzigartiges Kunstwerk arabischer Meister.
Der von Wilhelm I. 1154 begonnene und von Wilhelm II. 1160 vollendete dreistöckige Zisa-Palast war die Sommerresidenz der Normannen-Könige und sollte der Pracht arabischer Schlösser in Ägypten und im Maghreb gleichkommen. Die Könige wollten wie ihre Vorgänger, die arabischen Emire, leben und kleideten sich nach deren Vorbildern, übernahmen aber auch das byzantinische Hofzeremoniell. Die Zisa (von arabisch azziz ‚prächtig‘) war Teil eines weitläufigen Parks und Jagdbezirks mit Bauten arabischer Meister, die heute noch teilweise bestehen, so die Cuba. Die im Lauf der Jahrhunderte eingestürzten Gebäudeteile der Zisa sind mustergültig mit Materialen renoviert worden, die sich von der ursprünglichen Bausubstanz abheben. Wertvolle „Musciarabia“ (arabische Paravents aus Holz) und vor allem eine Totentafel in vier Sprachen (Arabisch, Griechisch, Hebräisch, Lateinisch) zeigen den kulturellen Synkretismus der normannischen Epoche. Zwei Wassersysteme sind Glanzpunkte der Zisa: Tuffsteine wurden vom Regenwasser benetzt und dienten der Kühlung, während eine natürliche Quelle den Brunnensaal durchströmte und in Fischteiche geleitet wurde. Dieser repräsentative Raum ist nach islamischem Vorbild zum Park hin durch einen Spitzbogen mit Doppelsäulen geöffnet.
Wegen ihrer fünf roten Kuppeln (sie erhielten ihre Farbe allerdings erst im 19. Jahrhundert!) ist die beim Normannen-Palast gelegene Kirche San Giovanni degli Eremiti ein markantes Bauwerk, das arabische, byzantinische und normannische Elemente integriert. Vorgänger-Bauten waren ein byzantinisches Kloster des 6. Jahrhunderts, das während der Araberherrschaft in eine Moschee umgewandelt worden war und zur Zeit der Thronbesteigung von Ruggero II. wieder zum christlichen Gotteshaus eines Klosters wurde. Die Wände der Kirche sind kahl. Ihr Grundriss entspricht einem T, wobei die quadratischen Grundflächen des einschiffigen Lang- und des Querhauses von Kuppeln überwölbt sind. Die Überleitung von den rechteckigen Strukturen des Unterbaus zu den runden Kuppeln wurde in Form von Trompen gestaltet. Das majestätische Bauwerk liegt in einem Garten mit uralten Bäumen und Gewächsen. Vom ehemaligen Kloster ist noch der Kreuzgang mit zierlichen Doppelsäulen und Akanthus-Kapitellen aus dem 13. Jahrhundert erhalten.
Info:
www.unescoarabonormanna.it
www.unescosicilia.it