Text una Fotos: Paolo Gianfelici
Minori – Nachdem ich genau vier Monate im Voraus Weihnachten (es ist der 24. August) am Abend mit einem italienischen Panettone am Meer gefeiert und das wunderschöne Feuerwerk über dem Tyrrhenischen gesehen habe, esse ich im Restaurant „A Ricetta“ zu Abend. Ich sitze an einem Tisch im Freien und bin bald von einer Gruppe Dudelsackspieler umgeben. Die surreale Weihnachtsstimmung fängt gerade erst an: Alles auf der Speisekarte von Raffaella, der Küchenchefin und Besitzerin, ist von den typischen Gerichten des Abendessens am Heiligabend inspiriert: Dinkelsalat mit Gemüse, Oliven und „Colatura di alici“ (Würzsoße aus Sardellen), Thunfisch mit „Burrata“ und kandierte Zitronen. Nach dem Risotto mit Zitrusfrüchten und gesalzenen Sardellen muss man die „Spaghetti n’ terrati“ mit Sardellen-Walnuss-Käse-Sauce sowie die Kartoffeln mit Thunfisch-Bottarga probieren und zum Schluss, als Dessert, den „Amalfi Pasticciotto“ mit Sauerkirschen-Creme. Ich laufe durch die alten Gassen von Minori und bewundere den prächtigen romanischen Glockenturm aus dem 13. Jahrhundert und die Fassade der Basilika Santa Trofimena. Ich spüre weiterhin die Aromen von Zitronen und Kräutern dieses einzigartigen Mikrokosmos an der Amalfiküste, wo man auch in der Hochsaison Ecken der Stille und Intimität entdecken kann.
Am nächsten Morgen besuche ich den Limoncello-Produzenten „Gambardella“, wo der Likör nach einem einfachen Rezept produziert wird aus Wasser, Alkohol, Zucker und den Schalen der „Sfusato“ Zitrone von Amalfi, die eine charakteristische längliche Form hat. Sie verleiht dem Likör einen intensiven Geschmack. Nach einem kurzen Zwischenstopp im Laden für hausgemachte Nudeln, wo man die traditionsreichen „n’ dunderi“, eine Art „gnocchi“, aus Mehl und Ricotta vorbereitet, erreiche ich den Zitronenweg, einen der schönsten Wanderwege der Amalfi-Küste, der von Minori nach Maiori führt. Man muss aus Minori mehr als vierhundert Stufen hinaufgehen, bis man eine kleine Kirche erreicht, wo der Weg anfängt. Hier wird der ganze Berg zu einem einzigen Zitronenhain. Die Amalfi-Zitronenpflanzen sind alle biologisch und wachsen auf den von Trockenmauern gestützten Terrassen: eine Methode, die seit Jahrhunderten hier benützt worden ist.
Ich betrete einen Zitronenhain: Die Früchte sind noch klein und grün. Nur ein paar große, gelbe Zitronen hängen an den Bäumen. Meine Mittagspause ist im urigen Restaurant „Cuonc Cuonc“ (ungefähr zweihundert Schritte hinunter in Richtung Minori). In der „Caponata“ gibt es hausgemachtes Vollkornbrot, Gemüse in Öl und wilden Fenchel. Der Sfusato-Zitronensalat ist gewürzt mit Öl, Essig und Salz. Der Käse enthält eine Mischung aus Ziegen- und Kuhmilch. Nach dem Mittagessen kommt plötzlich und unerwartet ein Gewitter auf. Der Himmel von klarem Blau wird dunkelgrau. Das zuvor spiegelglatte Meer nimmt die gleiche Farbe wie der Himmel an. Unglaublich und erschreckend viel Wasser fällt immer wieder auf uns herab und lässt mich über die schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bewohner des Ortes nachdenken, aber auch an ihre Hartnäckigkeit und Lebensenergie. Am Ende kehrt die Sonne zurück. Ich erreiche wieder Minori und bin überrascht, wie schnell die Stadt nach dem starken Regen und einem Erdrutsch zur Normalität zurückgekommen ist.
Am Abend genieße ich einen Aperitif mit Limoncello, Prosecco und Minze, den „Limoncello-Spritz“ in der Otium-Spa am Meer. Für das Abendessen fällt meine Wahl auf „Sal De Riso“, eine außergewöhnliche Konditorei und Gaststätte. Die Vorspeise besteht aus rohen Meeresfrüchten, Pizza mit Zitronenscheiben und Scamorza-Käse; das leckere Dessert hat den schönen Namen „Delizia al limone“. Danach gehe ich auf der kurzen Promenade von Minori spazieren und habe weiterhin ein unbeschreibliches Gefühl von Leichtigkeit, dank der Sfusato-Zitrone von Minori, dem Können seiner Köche und Konditoren und der magischen Atmosphäre dieses bezaubernden Ortes.
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