Text und Fotos: Elvira D’Ippoliti
Sansepolcro – Die Nacht wird von der „Auferstehung“ (Resurrezione) von Piero della Francesca (1412 – 1492) erhellt: Ein großes Fenster ermöglicht auch nach Schluss des Eintritts einen Blick ins Museo Civico, um das Fresko mit dem glorreichen Christus, der den Tod besiegt hat, von Weiten zu bewundern. Die junge Bewohner des Städtchens in der Toskana spazieren durch die Gassen, sprechen und lachen miteinander und suchen sich eines der viele Lokale aus, um den Samstagabend zu verbringen. Auch Piero liebte seine Stadt. Seine Familie hatte ein Stoff- und Farbenunternehmen, und die Pflanze des Färberwaids, aus der man das Blau für Stoffe und Malerfarben herstellte, war ein Baustein seiner Malerei. Maßgebend war auch die Landschaft, die sich um Sansepolcro erstreckt. Der römische Tiber entspringt hier auf dem Berg Fumaiolo, und der Fluss beginnt seinen Lauf durch ein Tal, das von Bergen umringt ist. Wenige Bäume beschatten das Panorama, und in den Bilder von Piero della Francesca bemerkt man diesen Mangel an Vegetation. Die Stämme und Äste sind dunkel und kahl und „stören“ nicht die Szene, die mit den Pinsel ins Leben gerufen wurde.
Vier Soldaten liegen müde und hoffungslos vor dem Grab Christi und haben nicht bemerkt, dass der Sohn Gottes auferstanden ist: Mit dem linken Fuß, der etwas zu groß erscheint, stützt sich Christus auf die Kante des steinernen Sarkophags, mit dem Ellbogen auf dem Knie. Die rechte Hand hält eine Fahne, seine Augen schauen direkt vor sich an den Männer vorbei. Im Hintergrund hat Piero della Francesca einen Berg in der Nähe von Sansepolcro gemalt. Man kann die Straße in Richtung Alpe della Luna (die Straße führt nach Rimini) hinauffahren und sich vorstellen, wie sehr Piero diese Sicht geliebt hat. Man begegnet einer wilde Natur, die Kurven schlängeln sich zum Himmel hoch, und das Panorama erweitert sich, bis man auf den künstlichen See blickt, der vom Tiber gebildet worden ist und auf dem sich die Sonne am Nachmittag spiegelt.
Licht und Ruhe umhüllen die Gegend. Piero della Francesca verreiste viel: Florenz, Pesaro, Ancona, Rimini, Rom, Arezzo, sehr wahrscheinlich Urbino. Überall hinterließ er rührende Gesichtszüge von Frauen und Männern, die sich ohne Masken zeigen. Die Madonna ist schwanger, ihr Bauch hat sich so gerundet, dass sich das Kleid in der Mitte öffnet. Ihre Augen sind vielleicht traurig, aber sie ist so jung abgebildet worden, dass sie zart aussieht. Dieses Fresko befindet sich in Monterchi, wo es in ein besonderes Gebäude in einem doppelsinnigen Stil eingemauert wurde. Aber bevor man sich vor die „Madonna del Parto“ stellt, kann man zwischen der Toskana und Umbrien die eigene Horizonte erweitern, um mit den Augen von Piero della Francesca die Umgebung um sein Sansepolcro zu erkunden, das damals Borgo Sansepolcro hieß. Die Landschaft ist heutzutage nicht gerade schön, weil in der Ebene, die von Bergen umringt ist, sich auch mehrere Textilfabriken befinden. Doch die Faszination seiner Kunst ist so heftig, dass man diesen „Missklang“ leicht übersieht. Man spaziert durch die steilen Gassen von Anghiari oder lässt den Blick über die Tiber-Ebene von der „Terrasse“ von Citerna (Umbrien) aus schweifen.
Zurück in Sansepolcro, hat man den Eindruck, den Maler und den Mann näher gekannt zu haben. Im Museo Civico blickt man auch auf seinen Flügelaltar (Polittico della Misericordia) mit einer Madonna mit ausgestrecktem, schützendem Mantel und den beiden Fresken von San Ludovico und San Giuliano. Man ist gewohnt, Pieros Figuren tief in die Augen zu schauen: Etwas in diesen Blicken ist mysteriös, wie das Leben selber. In Sansepolcro weiß man aber, wie man die Tage mit Tradition und Einfachheit füllen kann. Die Bewohner gehen am Nachmittag spazieren, und man begrüßt sich oft und mit Freundlichkeit.
Die Geschichte der Stadt stützt sich auf zwei Institutionen: die Fahnenschwinger und die Armbrustschützen. In September ist in Sansepolcro Hochsaison, und das „Palio der Armbrust“ füllt die Stadt mit Touristen. Das ganze Jahr hindurch ist man hier mit dem Training in beiden Disziplinen beschäftigt. Die ganze Stadt scheint stolz darauf zu sein, und wenn man mit den Bewohnern von Sansepolcro spricht, hat man den Eindruck, sich mit Leute zu unterhalten, die sich eines sicher sind: Sie sind mit ihrem Leben zufrieden, wie es wahrscheinlich auch Piero della Francesca gewesen ist.
Museo Civico Sansepolcro www.museocivicosansepolcro.it