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Umbriens „Indiana Jones” lebt in Narni

Die antike Höhlen-Kirche und das Gefängnis der Inquisition: In „Narni Sotterranea“ macht man eine Zeitreise durch viele Jahrhunderte

Umbriens „Indiana Jones” lebt in Narni

Text und Fotos: Lisa Mittelberger

Narni – Wer jung ist, sieht die Welt mit den Augen der Fantasie – wobei das Alter nicht an das Geburtsdatum gebunden ist. Roberto Nini empfängt mich am Eingang von „Narni Sotterranea“, einem unterirdischen Komplex, den er selbst im Jahre 1979 zusammen mit einer Gruppe von Freunden entdeckt hatte. Robertos Augen leuchten oberhalb seiner Schutzmaske immer noch wie die eines Fünfzehnjährigen, der ein großartiges Abenteuer erlebt. Wie diese Jungen auf die Idee gekommen sind, mit Seilen eine Felswand hinunterzusteigen, beruht wahrscheinlich darauf, dass Narni keine Großstadt ist und man sich hier damals auch langweilen konnte. Aber warum waren Roberto und seine Höhlenforscher-Gruppe immer davon überzeugt, dass sich unterhalb ihrer Stadt ein Schatz befinden sollte? Ihre Argumente waren so schlagend, dass der Bauer, in dessen Gemüsegarten sie zunächst landeten, ihnen die Erlaubnis gab, in der daneben liegenden Mauer den vorhandenen Spalt zu erweitern.

Narni,  „Santa Maria della Rupe", Foto Elvira D’Ippoliti
Narni, „Santa Maria della Rupe“

Roberto erzählt weiter, aber ich höre gleichzeitig seine damalige Aufregung: Stimmen von Jugendlichen, die aufeinander einreden und Projekte machen. „Wie können wir diese Arbeit voranbringen? Wer zahlt? Meine Eltern sind sicherlich nicht einverstanden!“ An diesem windigen und kalten Tag ist der Übergang vom Licht in die Dunkelheit der unterirdischen Kirche „Santa Maria della Rupe“ besonders beeindruckend. Es handelt sich aber nicht nur um einen Wandel des Lichtes! In „Narni Sotterranea“ macht man nämlich eine Zeitreise. Die Kirche stammt aus dem 13. Jahrhundert und gehörte zu einem Dominikanerkloster, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Antike Fresken schmücken die Wände. Roberto erzählt, wie es hier aussah, als die Jungen die Kirche entdeckten: „Alles war voller Schlamm und Geröll, aber das Bild eines Engels war gut sichtbar“. Ich drehe mich um und bemerke, wie die bernsteinfarbenen Augen der Figur Roberto scheinbar mit einem Lächeln betrachten: Es ist, als ob der Engel sich noch gut an die Jungen erinnert, die mit Helm und Seilen in die Kirche schlüpften. Die Kirche wurde in einer natürlichen Höhle errichtet und war lange Zeit der Kapitelsaal der Mönche.

Narni Sotterranea, , Foto Elvira D’Ippoliti
Narni Sotterranea

Blau und Gelb sind die dominierenden Farben der Fresken, auf denen Jesus, die Gottesmutter, der Erzengel Gabriel und andere Figuren mit einfachen, aber beeindruckenden Pinselstrichen dargestellt sind. Die Kirche strahlt eine Atmosphäre der Ruhe und Sammlung aus, die einen erstaunlichen Kontrast zu den anderen Räumen von „Narni Sotterranea“ bildet. Roberto kann seine Ungeduld nicht verbergen: Was er mir zeigen will, hat ihn jahrelang mit Recherchen, beruhend auf unvergleichlichen Funden, beschäftigt. Durch einen schmalen Gang gelangen wir in einen Saal mit steinernen Mauern. Während die Kirche farbenfroh und ruhig aussah, ist es hier wahrhaft unheimlich. Eine Schneiderpuppe, angezogen mit der Kutte eines Mönchs samt hochgezogener Kapuze, überwacht aus einer Ecke den Saal, in dem sich ein alter Holztisch und ein gepolsterter Stuhl befinden. Als die jungen Höhlenforscher das Zimmer erreichten, wurde ihre Aufmerksamkeit auf eine antike, geschlossene Tür gelenkt. Diesmal war es noch schwieriger, den Mut zusammenzunehmen und weiter zu erkunden, da die ganze Gruppe den Saal nur mit einem Trick erreicht hatte.

Neben der Kirche befand sich nämlich ein Keller, dessen Inhaberin Rosita auf keinen Fall wollte, dass man dort auf die Suche nach verlorenen Schätzen ginge. Doch als in Narni die jährliche historische Inszenierung „La Corsa dell’Anello“ stattfand, warteten die jungen Leute, bis der Umzug samt Musikkappelle vorbeiging, um an einer gemauerten Tür zu hämmern. Ein Streich, der es ihnen ermöglichte, das Gefängnis von Giuseppe Andrea Lombardi zu finden; der Gefreite wartete hier im Jahre 1759 auf sein Verhör durch die Inquisition. Ich betrete die kleine Zelle, auf deren Wände der Gefangene unzählige Symbole gemeißelt hatte. Man erkennt eine Sonne und einen Mond, aber die Deutung dieser in tiefster Verzweiflung gemachten Arbeit ist teilweise noch unbekannt. Lombardi war ein Freimaurer und er hat die vier Mauern des Gefängnisses mit Symbolen bedeckt. Es war aber sein Name samt Datum, was es Roberto Nini ermöglichte, die Geschichte dieses Freimaurers zu dokumentieren. „Ich habe in den letzten dreißig Jahren eine unglaubliche Reihe von Begegnungen erlebt“, erzählt Roberto, der es bis ins Geheimarchiv des Vatikans geschafft hat; dort hatte er Dokumente gefunden, die den Prozess dieses jungen Gefreiten schilderten.

„Narni sotterranea“ ist nicht nur ein Besuch in einer unterirdischen Stätte, sondern ein Tor zu einer Welt, wo tragische Geschehnisse der Vergangenheit einen Weg gefunden haben, wieder ans Licht zu kommen; sie beinhalten eine tiefe Deutung: Wer jung bleibt und mit Leidenschaft arbeitet, erlebt früher oder später einen Erfolg. Die Hauptsache ist, immer weiterzusuchen.

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