Meister Riccis letzter Pinselstrich
am „Everest“ (Foto: R. Brütting)
Vorführung im Free Climbing
(Foto: R. Brütting)
Trient (Terra Italia) – Macht sich ein „Flachlandtiroler“ auf den Weg zu einem Festival des „Bergfilms“, so überkommen ihn leicht Erinnerungen an gefühlvolle Streifen vergangener Jahrzehnte. Sollte vielleicht „Heidi“ eine Neuauflage erleben? Wird etwa die spröde Resi, die einzige Tochter des Großbauern der Hinteralm, in Liebe zum feschen Gustav, einem Herzensbrecher aus dem fernen Berlin, entbrennen, und wird sie sich nach väterlichen Zornesausbrüchen, Eifersuchtsszenen der einheimischen Burschen usw. von ihrem stürmischen Verehrer (der selbstverständlich beim „Fensterln“ erwischt wird) unter Glockengeläut an den Traualtar führen lassen?
Mit dieser Art „Bergfilm“ hatte das Trienter Festival wahrlich nichts zu tun. Das zentrale Thema war vielmehr das 50-jährige Jubiläum der Erstbesteigung des Mount Everest durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay am 29. Mai 1953. In Trient ging es aber nicht so sehr um sportliche Höchstleistungen oder Bravourstücke im Fels bzw. auf dem Gletscher – so bewunderungswürdig sie auch waren –, als vielmehr um eine Reflexion über den Sinn von etwas letztlich Nutzlosem – dem Erklimmen des sog. 3. Pols (nach dem Nord- und dem Südpol). Weiterhin wurden spannende Abenteuer- und Discoveryfilme gezeigt, z.B. eine Durchquerung der Altai-Region per Fahrrad („To the World’s End by Bicycle“ von S. Kochbergina, Russland), eine Wildwasserfahrt auf dem afrikanischen Fluss Omo („Omo-Cesta do Praveku“ von P. Barabas, Slowakei) und die Erlebnisse eines ambulanten Arztes in den Steppen der Mongolei („Yönden“ von M. Jaoul de Poncheville, Frankreich).
Der Europa-Abgeordnete Reinhold Messner, der 1978 mit Peter Habeler den höchsten Berg der Erde erstmals ohne Sauerstoffgerät und später auch im Alleingang bestiegen hat, betonte bei einer von mehr als 1000 Personen besuchten Soirée immer wieder die ‚philosophischen’ Aspekte und die tiefe Verantwortlichkeit seines außergewöhnlichen Tuns. Leidenschaftlich kritisierte er zusammen mit den anwesenden Regisseuren (u.a. Leo Dickinson und Kurt Diemberger) und den Bergsteigern, von denen mehrere sämtliche 14 Achttausender bezwungen haben, die Möglichkeit, die Besteigung des Mount Everest wie eine waghalsige Urlaubstour im Reisebüro zu buchen oder als bloße sportliche Herausforderung zu verstehen.
Beeindruckend war, dass einige Filme gerade auch von gescheiterten Expeditionen berichteten – so der mit viel Humor und Selbstironie geschilderte Versuch, den mythischen Cerro Torre in Patagonien zu besteigen („Non la vogliono capire“ von C. Frutiger/Ch. Kopp/Th. Ulrich, Schweiz). Eindringlich wurde immer wieder unterstrichen, dass es beim Bergsteigen zwar um ein Vergnügen gehe, das jedoch nur zulässig sei, wenn Grenzen respektiert werden und Bereitschaft besteht, hochfahrende Ziele aufzugeben. In diesen Rahmen passten auch Filme der Trauerarbeit und des Erinnerns an tödlich verunglückte Alpinisten („Post Scriptum“ von L. David, Polen; „Your Himalayas“ von A. Inurrategi, Spanien. Dieser Film gewann den Preis „Città di Trento“).
Der Film „Emilio Serra – Soldato della storia“ von C. Redolfi (Italien) beschäftigte sich unter dem Motto „Der andere Berg – Friedensberge“ mit einem tragischen Kapitel des Trentino, nämlich mit dem italienisch-österreichischen Hochgebirgskrieg 1915-18. Aufnahmetechnisch bot der Streifen sicher keine Besonderheiten, sein Thema beeindruckte mich jedoch tief: Emilio Serra, der „Soldat der Geschichte“, besucht seit vielen Jahren die Schlachtfelder hoch in den Bergen und sammelt die dort noch immer vorhandenen Relikte der mörderischen Auseinandersetzung in einem Museum. Er organisiert Versöhnungstreffen der ehemaligen Kriegsgegner und errichtet als Bildhauer Denkmäler zur Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse. Fast obsessionell treibt es ihn, wie er immer wieder bekannte, an jene Stätten, um dort zeitüberdauernde Monumente zu hinterlassen.
Insgesamt hatte das Festival, bei dem höchstens die Überfülle des Angebots mit 71 Filmen und einer umfangreichen Retrospektive kritisiert werden kann, eine eher nachdenkliche Note; Glorifizierungen standen nicht im Zentrum. Vielmehr waren Umweltgesichtspunkte, Hilfe für die Bevölkerung der unterentwickelten Landstriche am Fuße der großen Gebirge und die Verantwortung für das Naturerbe der Menschheit wichtige Untertöne zahlreicher Filme. Nichtsdestoweniger wurde auch den menschlichen Schwächen und den komischen Begebenheiten beim Treiben der Bergfexe gebührend Tribut gezollt. Anerkennung verdient das reichhaltige Beiprogramm mit einer Buchausstellung, spektakulären Vorführungen u.a. des Weltmeisters in Free Climbing und einer Werkstätte des Bildhauer-Dorfs Praso zum Thema „EVEREST“.
Reinhold Messner bei einem Interview
(Foto: R. Brütting)