Ein Landgut im archäologischen
Gebiet von Saepinum (Foto P.Gianfelici)
Alto Molise(Foto P.Gianfelici)
Colle d’Anchise (Terra Italia) – An den Windungen des Flusses Biferno liegt die dicht mit Gras bewachsene „Mühlenebene“. Man muss im Frühling oder Herbst herkommen, wenn man das Farbenspiel der Natur genießen, den Nervenkitzel einer achtzehn Kilometer langen Rafting-Strecke erleben oder dem Kanufahren frönen will. Doch auch die schneebedeckte Hochebene ist von besonderem Reiz durch ihren Jahrhunderte alten Baumbestand, die althergebrachten Mühlen, wo die Oliven ausgepresst werden, und durch die alten, restaurierten Steinbauernhöfe.
Meinen Ausflug ins Alto Molise habe ich vom Agriturismus Piana dei Mulini in Angriff genommen, weil er so zentral gelegen ist. Es ist ein eher einfacher Gasthof, aber durchaus zweckentsprechend. In den Zimmern findet man weder Kühlschrank, noch Fernseher. Ob die Handys hier funktionieren, ist ungewiss, dafür schläft man in den bequemen Betten wie ein Gott, und die Ruhe ist einfach herrlich. Auf den steinernen Söllern und im kleinen Hof, der von altem Mauerwerk umgeben ist, weht ein frischer Wind, der von den Mateser Bergen herunterkommt.
Wer im Winter ins Alto Molise reist, hat zwei Möglichkeiten: einmal kann er Skifahren, besonders Langlaufski, und dann kann er durch die Orte bummeln, mal in den Cafés einkehren, Karten spielen, mit den Leuten plaudern oder auch die Weine und örtlichen Spezialitäten kosten. Während der anderen Jahreszeiten warten auf ihn herrliche Spaziergänge in den Wäldern oder auf den traditionellen Pfaden des Herdenabtriebs, vorbei an den archäologischen Ausgrabungen der sannitischen und römischen Städte. Im Augenblick ist das allerdings nicht möglich, denn jeden Winter – und besonders in diesem Jahr – fällt in dieser Region mehr Schnee als sonst wo in Italien, mit Ausnahme einiger unbewohnter Alpengegenden.
Im 1426 Meter hoch gelegenen Capracotta wird vom 21. bis 24. Februar der Continental Cup 2004 in der nordischen Kombination ausgetragen. Die Pisten von Prato Gentile führen Kilometer weit durch Wälder aus Silbertannen, und sie gelten als die besten und malerischsten in ganz Italien.
Das Dörfchen Civitanova del Sannio zählt nur eintausend Einwohner. Es ist von Eichen- und Buchenwäldern umgeben, wo man Steinpilze und schwarze Trüffel sammeln kann. Die Sanniter gründeten die Stadt auf einem Berggipfel, der mittelalterliche Ort dagegen wurde weiter unten erbaut. Heute kann man für einige Dutzend Euro nette, kleine Wohnungen mieten, die im Inneren antiker, restaurierter Gebäude liegen. Für nur fünfzig Euro pro Nacht kann man zu viert in einem anspruchsvollen Haus wohnen, das früher im Besitz eines wohlhabenden Ortsbewohners war. Die Möbel stammen aus dem 19.Jahrhundert und die Holzdecken sind in Kassettenform gestaltet.
In den Kellern der alten Häuser von Molise lagern Unmengen von Würsten und Presskopfarten, der birnenförmige Hartkäse „Caciocavallo“, „caciotte“ ( Weichkäsesorten aus Kuh- und Schafsmilch) und in Öl eingelegte Gemüsesorten. Die Bevölkerung bestand weitgehend aus Hirten, und somit waren haltbare Nahrungsmittel unabdingbar. Man brauchte sie sowohl auf den langen Reisen, wollte aber auch auf unvermutete Besucher vorbereitet sein. Bis in die heutige Zeit hat sich die molisische Küche diese Ursprünge erhalten.
So erwartet denn auch den Gast im Wirtshaus „Locanda degli Illustri“ in Civitanova del Sannio ein riesiges Büffet mit kräftigen, einfachen und althergebrachten Spezialitäten: Brot, in Ei ausgebacken oder mit Caciocavallo-Creme versehen, Hartweizenpizza, Wurstspezialitäten, Kuchen, gefüllt mit Quark, Vanillecreme und kandierten Früchten, Nussmakronen, Apfelkuchen, geröstete Brotstückchen und Mandelgebäck.
Das in tausend Meter Höhe gelegene Frosolone, hat für seine dreitausendfünfhundert Einwohner sehr viele neue Häuser gebaut, so dass nur wenige der ehemaligen Steinbauten übrig geblieben sind. Glücklicherweise sind noch einige der alten Werkstätten erhalten, in denen Messer und Scheren in Handarbeit hergestellt werden. Es ist schon ein besonderes Erlebnis, den Handwerkern bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Das Endprodukt kostet zwar unter Umständen dreimal so viel wie ein industriell hergestelltes Teil, aber dafür hält es ein Leben lang.
Ich beende meinen Reiseweg in San Pietro Avellana. Der Ort wurde im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört (was in Italien nicht sehr oft vorkam) und anschließend wieder aufgebaut. Vielleicht ist das aber der Grund dafür, dass die Bewohner ein interessantes Museum für Kultur und Brauchtum errichten wollten. Fotos, Haushaltsgegenstände und Kleidung aus den letzten hundertfünfzig Jahren sind in einem großen Raum kunterbunt zusammengewürfelt. Es lohnt sich, sich eine Stunde Zeit für die Suche nach der verlorenen Zeit zu nehmen.
Ich habe mir vorgenommen, im Frühling noch einmal nach San Pietro Avellana zu kommen, um mir das von der Unesco ausgewiesene Naturschutzgebiet und die Mondquelleninsel (Isola di Fonte della Luna) am Fluss Sangro noch einmal anzusehen.
Gegen Abend kehre ich ins Mühlental zurück, das sich entlang der alten Eisenbahnlinie nach Neapel hinzieht. Hinter dem Gebirgskamm des Apennin färbt sich der Abendhimmel in einer eindringlichen Palette von Rosa- und Rottönen.
INFO:
www.turismomatese.com
www.comunitamontanaaltomolise.it
(Foto P.Gianfelici)
(Foto P.Gianfelici)