(TidPress) – Auf dem ersten Blick erscheint das Vorhaben als ziemlich verwegen: Rill hat sich nicht weniger als zwei Jahrtausende italienischer Geschichte und Kultur vorgenommen, um sie – unter Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat – einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Durchaus spürbar ist seine Verve, liebgewonnene Vorstellungen vom Bel Paese zu entmystifizieren. Neben den „lichten Höhen“ geht es nämlich auch um die „banalen oder gar dunklen Tiefen dieses gesegneten Landes“ – von dessen mythischer Erfindung durch Vergil über seine Heiligsprechung im Mittelalter, die kulturellen Errungenschaften zu Beginn der Neuzeit (Renaissance, Barock, Oper), die Kavalierstouren und die romantische Italiensehnsucht bis zur Bildung des italienischen Einheitsstaats und seinen Problemen.
Römische Antike, römischer Barock |
Das Nationaldenkmal Vittoriano |
Scharfzüngig delektiert Rill sich beispielsweise bei der Charakterisierung des Denkmals der nationalstaatlichen Einigung Italiens: „Die einen nennen es ‚Vittoriano‘, das ‚Victorianum‘, was nach Altersheim klingt […]. Die anderen, und die dürften in der Mehrheit sein, nennen es hingegen ‚Schreibmaschine‘, ‚Hochzeitstorte‘ oder gar ‚Luxusklo‘“ (S. 188). Diese despektierlichen Bemerkungen werden jedoch auf das rechte Maß zurechtgestutzt durch die Schilderung der „Erfolgsgeschichte“ des italienischen Einheitsstaats seit dem Risorgimento, „die vielleicht nur eine stilvollere Feier durch das Volk des hochentwickelten Stil-Instinkts verdient hätte, als es diese Verlegenheit am Rande der Piazza Venezia ist“ (S. 189).
Der Vorschlag, anstelle der blutrünstigen Mameli-Hymne das von den Anhängern der Lega Nord so inbrünstig angestimmte „Va pensiero“ aus der Verdi-Oper Nabucco zur Nationalhymne zu machen, bringt Rill zu der ironischen Frage: „So als ob die italienische Nation immer noch fern vom Gelobten Land ihres Einheitsstaates trauern müsste, elegisch und resigniert wie die Juden im babylonischen Exil?“ (S. 217).
Besonders instruktiv ist Rills Auseinandersetzung mit dem (schein)philosophischen und (schein)religiösen Anspruch des italienischen Faschismus, den Mussolini und seine Vordenker zu einer die totalitäre Machtausübung rechtfertigenden „faschistischen Mystik“ zusammenbrauten. Nicht resignierte Hinnahme des allgegenwärtigen Irrationalismus, sondern eine Bejahung, „die sich freudetaumelnd hingibt wie ein frisch Verliebter seinen Gefühlen“ (S. 249), sind nach Rill der Kern eines „materie-verachtenden Idealismus“, als dessen Inkarnation der Duce galt: „der Führer ist nicht nur eine abgehobene Figur, die Befehle erteilt, er verkörpert die Allgemeinheit in sich, das allgemeine Heil“ (S. 251), nämlich die volonté générale. Rill diagnostiziert jene notwendigerweise zum Untergang führende Überforderung des faschistischen Führers, der als fehlsamer Mensch eine unangreifbare Doktrin zu aktualisieren versucht, vor allem, wenn er eine permanente Revolution anstrebt, deren Endziel nur in seinem endlichen Willen besteht: „Der Willensakt als solcher ist gerechtfertigt, weil er sein muss, und also (so hält der Teufel seinen Einzug) ist er auch gut“ (S. 253). Alle diese „idealistischen Luftschlösser“ sollten eine Diktatur ohne weltanschauliches Fundament rechtfertigen; in Wirklichkeit sei der Duce lediglich „ein begnadeter politischer Taktiker und Schnüffler im Winde der Volksmeinung“ (S. 254) gewesen.
Das Buch verlangt eine gute Vorkenntnis der italienischen Verhältnisse, ist aber wegen seiner Materialfülle und seiner kompetenten Urteile ein spannender Lesestoff; leider hat der Druckfehlerteufel allzu oft sein böses Spiel getrieben.
Bernd Rill. Von Vergil bis Berlusconi. 15 ausgewählte Kapitel zur Geschichte und Kultur Italiens. Neuried: Ars una, 2010. 328 Seiten. 15.- EURO.
23.08.2011
Auf dem Protestantischen Friedhof (Rom) |
Villa Torlonia, einst Residenz des Duce |