Jahrzehntelang wurde der Futurismus von der “offiziellen” italienischen Kultur links liegen gelassen und schlecht gemacht. Sie verzieh der von F.T. Marinetti gegründeten künstlerischen und literarischen Bewegung nämlich nicht, dass diese im Jahre 1919 dem Faschismus beigetreten war. Heute jedoch erweckt der Futurismus das Interesse der Wissenschaftler und die Neugierde des Publikums (www.futur-ism.it).
Im Palazzo delle Esposizioni von Roma bleibt die Ausstellung “Futurismo (1909-1944)” bis 22. Oktober 2001 geöffnet. In Umbrien, der Heimat von Gerardo Dottori (Perugia 1884-1977), dem Protagonisten der “Aeropittura futurista”, werden in Corciano und Tuoro 60 seiner Werke ausgestellt (Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen). Sie haben den Lago Trasimeno, Hügellandschaften und die futuristische religiöse Kunst zum Gegenstand. In Gherlinda, dem ersten Unterhaltungszentrum Umbriens, kann man bis 23. September die Ausstellung “La donna, il Futurismo, la moda” mit asymmetrischen und sehr bunten Kleidern, Handtaschen und Melonen-Hütchen besichtigen. In einigen Restaurants von Corciano, Passignano, Punta Navaccia und sogar an Bord eines auf dem Lago Trasimeno verkehrenden Schiffs kann man Gerichte der futuristischen Küche probieren.
Unser Rat: Übergehen Sie diese kulinarischen Experimente mit ihren unsicheren Resultaten (in Umbrien isst man eine sehr gute traditionelle porchetta!). Gehen Sie lieber nach Corciano, ein perfekt restauriertes mittelalterliches Städtchen – es liegt an einem Hügel in 13 km Entfernung von Perugia -, und besuchen Sie dort die Ausstellung mit Gemälden von Gerardo Dottori (Museo di San Francesco und Palazzo Comunale, bis 23. September; Informationen unter: www.comune.corciano.pg.it).
In der “Aeropittura” von Dottori wird die Landschaft von oben wie aus einem Flugzeug gesehen. Dadurch wird sie in Raum und Zeit isoliert und mit Himmel “angereichert”. Das genaue Gegenteil war bei der umbrischen Renaissance-Malerei der Fall, da bei dieser der Himmel fast ein Anhängsel der Hügel, Tiefebenen und Wasserläufe war.
Das Triptychon der Geschwindigkeit (1925-27) drückt das Kernanliegen des Futurismus aus: der Materie Leben zu verleihen, indem sie in all ihren Bewegungen erfasst wird. Ein Auto flitzt pfeilschnell mit der Geschwindigkeit eines Formel 1-Rennwagens durch die offensichtlich statische umbrische Landschaft und verleiht ihr so jene dynamische Dimension, die das Auge nicht wahrnehmen kann. In diesem Sinn widersetzt sich der Futurismus der zeitgleichen kubistischen Bewegung, die ihrerseits das Bild in eine statische Dimension zerlegt.
Empfehlenswert ist auch ein Besuch der Ausstellung, die der religiösen Kunst Dottoris, des “futuristischen Mystikers”, gewidmet ist (in Tuoro am Ufer des Lago Trasimeno). Sehr schön ist der Katalog “Aeropitture di acque e colline” (mit umfangreicher Textzusammenfassung auf Englisch), Verlag EFFE (Fabrizio Fabbri Editore s.r.l; www.effefabbrieditore.it).
Die Burg am See
Triptychon der Geschwindigkeit in Fahrt