Monrupino,Wehrkirche aus dem 16. Jahrhundert
San Dorligo-Dolina (Terra Italia) – Das Hotel in Pese ist nur 400 m von der Grenze entfernt, und das slowenische Mobiltelefonnetz ‚überdeckt’ auf meinem Handy bereits das Signal der italienischen Telecom. Hier in der Nähe verläuft auch die natürliche Grenze, die den mit geringer Vegetation bewachsenen weißen Kalkstein des Karsts von den Sandböden und dem dunklen Sandstein der grünen Landschaft Istriens trennt.
In der Sommerperiode fährt ein ununterbrochener Autostrom aus den vier Himmelsrichtungen Europas über die italienisch-slowenische Grenze. Alle sind in höllischer Eile, um an die Strände von Lignano, Jesolo, Capodistria, Portorose oder auf die dalmatinischen Inseln zu kommen. Wenige, nur sehr wenige halten an und wagen sich zu Fuß oder per Mountainbike auf die Pfade zwischen schwarzen Hainbuchen und Eschen, zwischen Weinbergen und Olivenhainen, um eine der Wehrkirchen, wahre Juwelen der Kunst des Karsts, zu besichtigen, oder die Mittagszeit in einer „Osmica“, einem einfachen Landgasthof, zu verbringen. Man kann dort ein Glas Bier oder Terrano-Wein trinken und dazu in Brotteig gebackenen Schinken verzehren.
Dieser Landstrich war bis vor gut zehn Jahren vollgestopft mit Carabinieri- und Militärkasernen und wurde Tag und Nacht von jugoslawischen Milizionären mit angeleinten Dobermännern überwacht. Heute wird die Gegend vom europäischen Tourismus entdeckt. Zuerst haben allerdings die Einwohner von Triest den Karst bemerkt. Sie kehren zurück, um dort zu wohnen, und restaurieren die Häuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die alle aus weißem Stein gebaut sind und gewaltige Portale, Dächer und Kamine haben, die den Bora abhalten sollen. Auch die Landwirtschaft erlebt eine Wiedergeburt dank der Hingabe alter und neuer Einwohner, die sich oft in ihrer Freizeit dem Anbau heimischer Rebsorten (rote Refosco- oder weiße Vitovska-Traube) und der Pflege von Olivenhainen der Sorte Biancheria-Belica widmen.
Welchen Weg soll man auf dem Karst benutzen? Wenn man in einem Triestiner Hotel übernachtet (auf dem Karst gibt es nur wenige Unterkünfte), kann man mit der Trambahn – sie stammt anscheinend noch aus der Zeit der Habsburger – nach Opicina hinauffahren und sein Fahrrad mitnehmen. Man fährt dann weiter nach Monrupino, wo eine Wehrkirche aus dem 16. Jahrhundert in einer unvergleichlichen Lage oben auf einem Hügel in den Himmel ragt. Man sieht auch eine mit Wehrmauern umgebene Anlage aus dem 15. Jahrhundert zur Verteidigung gegen die Einfälle der Türken, die von den nahen Lagern in Dalmatien aufbrachen.
Inmitten zahlreicher Steinhäuser und Trockenmauern, welche überaus hohe Weinlauben mit roten Trauben abgrenzen, befindet sich im Dörfchen Rupinpiccolo die „Casa Carsica“, ein gut erhaltenes Gebäude mit einem Holzbalkon, der auf einen kleinen Garten mit einem Brunnen und einem Nussbaum in der Mitte blickt. Die „Casa Carsica“ beherbergt ein dem Brauchtum und den Traditionen des Karsts gewidmetes Museum (es ist allerdings sehr in Unordnung und sollte besser gepflegt werden). Zur Vervollständigung der Rundreise sollte man in Sgonico auch die 130 m lange, 65 m breite und 107 m hohe „Grotta Gigante“ (Riesenhöhle), welche die Ausmaße einer Kathedrale hat, und den botanischen Garten „La Carsiana“ besichtigen.
Ein anderer Weg startet in San Dorligo-Dolina, einer in den Karstbergen, den Hügeln Istriens und der Bucht von Muggia gelegenen Streusiedlung. Das Klima ist hier gemäßigter, die Erde fruchtbarer, und das zum Meer abfallende Gelände ist ein Garten. Man kann das Gebiet durchqueren und in Richtung des Gebirges durch die Tunnels entlang der alten Bahnlinie Triest-Istrien fahren. Die Natur ist rau und wild: Man kommt im Klettererparadies des Rosandra-Tals mit seinen steilen, rötlichen Felswänden, seinem wirbelnden Sturzbach und seinen Wasserfällen an. Wir raten zu einer Stippvisite jenseits der Grenze und zu einer Besichtigung der nahen slowenischen Ortschaft Hrastolije. Das istrische Dorf wird von einer ummauerten Wehrkirche überragt, die oben auf einem Hügel liegt. Der Kirchenraum wurde um 1450 von Giovanni di Castro vollständig mit Fresken ausgemalt. Sehr ausdrucksvoll ist der Totentanz, der in einem Reigen sämtliche menschlichen Wesen vereint.
Empfehlenswerte Gaststätten: Die Trattoria Gostilna Gustin (Tel. +39-040-229123) in Sgonico im Herzen des Karsts bietet typische örtliche Gerichte und aus heimischen Trauben hergestellte Weine an. Die Besitzerin und Köchin, Signora Paola Zivic, offeriert ihren Kunden zu Beginn die „Jota“, eine tags zuvor zubereitete Suppe aus Wirsing-Sauerkraut mit Kartoffeln, Graupen, Bohnen und Knoblauch. Dann kommen die „struccoli“ (auf slowenisch „struklj“, eine Art salziger, mit Nüssen, Ricotta und Majoran gefüllter Strudel aus Eierteig), in der Backröhre gratinierte, mit Zucker und Vanille bestreute Pflaumen-Gnocchi und ein Rehbraten mit Bratkartoffeln. Zum Schluss die Süßspeisen: Honigstrudel mit Rosinen und Pinienkernen sowie ein mit frischen Feigen gefüllter Kuchen. Zu allem gibt es einen Terrano Carso Doc, Jahrgang 2000, der Kellerei Lupinc. Es ist dies ein dunkler, etwas violetter Rotwein, der gut zu den Hauptgerichten des Karsts passt, deren Zutaten Früchte, Zucker und Gewürze sind.
Für eine Brotzeit und eine Weinprobe empfiehlt sich ein Besuch des Bauernhofs Parovel (San Dorligo-Dolina, Ortsteil Caresana, Tel. +39-040-227050). Der Urgroßvater der gegenwärtigen Besitzer lieferte Wein und Öl aus eigener Produktion an den Kaiserhof der Habsburger. Seine Nachkommen achten nicht weniger auf die Qualität, dank neuer Technologien haben sie diese bestimmt noch verbessert. Heutzutage geht das gleichzeitig pikante und delikate Öl, das zum Würzen von Fisch bestens geeignet ist, fast gänzlich nach Amerika (in einer koscheren Version auch für gläubige Juden). Rot- und Weißwein gibt es hier allerdings noch im Überfluss. Im Obstgarten hinter dem Haus kann man ihn bei einem Imbiss auf der Grundlage von Oliven, Käse und einheimischer Wurst probieren.
Hrastolije, Wehrkirche aus dem 15. Jahrhundert