Cremona: die Ufer des Po
Cremona (Terra Italia) – Im Oktober 2002 hat auf dem Messegelände von Cremona die „Mondomusica 2002“, eine der international bedeutendsten Messen für Musikinstrumente und Musikalienzubehör stattgefunden. Der weltweite Ruf dieser Stadt ist mit dem Geigenbauer Antonio Stradivari ( 1644?-1737) verbunden, der seinen eigenen Namen latinisierte und die 1.200 Violinen, die in seiner Werkstatt entstanden sind, mit dem Markenzeichen Antonius Stradivarius Cremonensis „unterschrieb“ (heute ist jedes Instrument mehr als fünf Millionen Euro wert). Worin jedoch bestehen Stradivaris Geheimnisse, die seinen Streichinstrumenten eine so außerordentliche Klangqualität verleihen? Um diese Geheimnisse zu entschlüsseln, sollte man das „Museo Stradivariano“ besuchen, das seit Ende vergangenen Jahres im „piano nobile“ (Hauptgeschoss) des Palazzo Affiatati untergebracht ist.
Der Einwohner Cremonas war – jenseits aller Fantastereien der Vergangenheit – ein mit tiefer musikalischer Sensibilität begabter Mann mit großen handwerklichen Fähigkeiten. Wie kein anderer konnte er das Holz „lesen“, das zum Bau seiner Instrumente diente. In den Schaukästen des Museums sind Hunderte von Zeichnungen und Modellen ausgestellt, welche die Sorgfalt und die technische Strenge des Meisters bezeugen, der neben einer außergewöhnlichen Intuition große Fähigkeiten bei der Organisation der Arbeit seiner Mitarbeiter hatte (s. das Buch „… and they made violins in Cremona from Renaissance to Romantic era“, herausgegeben vom Ente Triennale degli Strumenti ad Arco, sowie die Internetadresse www.cremonaviolins.com).
Wurde die Violine im Cremona des 16. Jahrhunderts erfunden? Wahrscheinlich wurde sie zu gleicher Zeit in verschiedenen Gegenden Italiens und Europas konstruiert. Tatsache bleibt, dass Cremona für mehr als 200 Jahre die europäische Hauptstadt der Streichinstrumente war, nämlich von Andrea Amati, der 24 Violinen im Auftrag von Karl IX. von Frankreich herstellte, bis Guarneri del Gesù. Die Geigen-Sammlung befindet sich im Palazzo Comunale (Rathaus), ist jedoch (absurderweise) vom „Museo Stradivariano“ im Palazzo Affiatati getrennt.
Heute haben sich mehr als 400 Instrumentenbauer aus der gesamten Welt eine Werkstadt im historischen Stadtzentrum eingerichtet. In 20-30 Tagen bauen sie ein Tonwerkzeug, das sich dann mit dem ruhmvollen Markenzeichen „made in Cremona“ schmückt (in rechtlicher Hinsicht ist es aber noch nicht ausreichend geschützt). Andere Geigenbauer beschäftigen sich nur mit Restaurationsarbeiten. Ich habe die Werkstatt des Amerikaners Bruce Carlson, des offiziellen Kurators der berühmten Violine namens „Cannone“ besucht, die von Guarneri del Gesù gebaut wurde und einst Nicolò Paganini gehörte. Ich erfahre, dass das Ahorn- und Tannenholz des harmonischen Korpus regelmäßiger Pflege bedarf. Zu einer guten Konservierung gehöre es, dass eine Violine nicht in der Vitrine eines Museums oder eines Sammlers stehen darf, sondern bespielt werden muss: „Musik verscheucht die Holzwürmer!“
Diese Stadt widmet sich jedoch nicht nur dem Geigenbau (Info: www.aptcremona.it). Auf dem Stadtplatz steht ein erstaunliches Konzentrat des mittelalterlichen Italiens: die Kathedrale, der 100 m hohe Torrazzo (Stadtturm), das Baptisterium, die Loggia dei Militi und das Rathaus.
Dank seines Hafens am Fluss Po und seiner zentralen Lage in der Poebene hatte Cremona vom 12.-15. Jahrh. eine große wirtschaftliche und strategische Bedeutung, bevor unter der Herrschaft Mailands, Frankreichs, Spaniens und Österreichs der Abstieg begann. Wenn man sich ein wenig, und seien es auch nur 200 m vom Stadtplatz entfernt, so macht die Stadt einen bescheidenen Eindruck, sie ist dem Geschmack des 19. Jahrhunderts entsprechend etwas vernachlässigt – ganz zu schweigen von den städtebaulichen Verstümmelungen (neue Piazza Roma; Zerstörung des Stadtteils, in dem sich die Werkstätten der ehemaligen Geigenbauer befanden), die während des Faschismus erfolgten. Einer seiner höchsten Exponenten, Roberto Farinacci, residierte hier.
Diese Eindrücke hinterlässt ein Besuch in Cremona: Glanz und Verfall, aber ein Verfall, der in einigen Augenblicken so leuchtet wie die Glanzperiode – wie während des Epos des Geigenbaus zu Cremona. – Eine letzte musikalische Anregung: In Cremona wurde Claudio Monteverdi (1567-1643), der Schöpfer der italienischen Oper, geboren; wenn man Ende Mai oder Anfang Juni hierher kommt, darf man das Monteverdi-Festival nicht versäumen. Ein Ruhmesblatt für die Bürger ist das Mitte des 18. Jahrhunderts errichtete und kürzlich restaurierte Theater „A. Ponchielli“. Das Spielprogramm ist auf höchstem Niveau (vom 30.11-01.12 wird „Romeo und Julia“ von S. Prokofiev mit dem Ballet der Mailänder Scala aufgeführt). Info: www.rccr.cremona.it/doc.
Die Kathedrale