Terra Italia

Kunst und Schweigen in den Klöstern von Ferrara

Richard Bruetting

Neben dem Prunk der romanisch-gotischen Kathedrale und den Palästen der Renaissance gibt es in Ferrara die lautlose, verschwiegene Welt der Klöster. Hinter ihren Mauern verbergen sich bedeutende Kunstschätze und Sehenswürdigkeiten.




S.Antonio:Fresken im Nonnenchor

Ferrara (Terra Italia) – Die in Klausur lebenden Klarissinnen des Klosters “Corpus Domini” hüten die letzte Ruhestätte der Este, der Herrscher über Ferrara von 1264-1597 (Herzöge von Ferrara nach 1471). Unter einer schlichten Grabplatte befindet sich im Chor der Klosterkirche u.a. die Gruft der berühmten, aber schon zu ihren Lebzeiten zu unrecht verleumdeten Lucrezia Borgia (1480-1519), der Tochter von Papst Alexander VI. Die nach mehrfacher Ehe seit 1501 mit Alfonso I. d’Este verheiratete Fürstin war eine hochgebildete Dame, die zahlreiche Schriftsteller, darunter Ariosto und Bembo, an den Hof der Este holte. Bekannt ist das Kloster auch als zeitweilige Heimstätte der hlg. Catarina Vegri, einer mystischen Schriftstellerin des 15. Jahrhunderts.

Der Zugang zu den Fürstengräbern der Este ist nur nach Voranmeldung an der Klosterpforte, Via Pergolato 4, möglich. Öffnungszeiten: 9.30-12.00 und 15.30-17.30 Uhr; sonn- und feiertags geschlossen. Man bittet um eine freiwillige Spende.

Das Benediktinerinnen-Klosters “Sant’Antonio in Polesine” wurde 1257 von der seligen Beatrice II. von Este gegründet. Es liegt am Ende der Via del Gambone. Die barocke Kirche ist frei zugänglich; nur nach Voranmeldung kann der Nonnenchor des Klosters besichtigt werden (Öffnungszeiten: 9.30-11.30 und 15.00-17.00 Uhr; sonn- und feiertags geschlossen; mit der Bitte um eine freiwillige Spende). Er birgt neben einem reichen Chorgestühl aus dem 15. Jahrhundert als besonderen Schatz drei Kapellen, die mit einem Freskenzyklus von außergewöhnlicher Ausstrahlung geschmückt sind. Die Wandbilder stammen meist aus dem 14. Jahrhundert und werden Schülern Giottos und Malerschulen aus Bologna und Rimini zugeschrieben. Einzelne Fresken stellen überaus originelle Interpretationen biblischer Geschichten dar:

– Auf der Flucht nach Ägypten trägt Josef das Jesuskind auf seinen Schultern. Er führt einen störrisch wirkenden Esel, auf dem Maria sitzt. Der kleine Jesus wendet sich jedoch in der Art eines Kleinkindes nach rückwärts seiner Mutter zu, um von ihr in den Arm genommen zu werden. Diese streckt ebenfalls ihre Hände aus, um das Kind vor dem Herunterfallen zu bewahren.
– Zwei Zimmerleute sitzen auf dem Querbalken des bereits aufgestellten Kreuzes und treffen letzte Vorbereitungen zur bevorstehenden Kreuzigung Jesu Christi. Sie haben eine Leiter an das Kreuz gelehnt, die Christus aus freien Stücken in fast artistischer Pose benutzt, um auf das Kreuz klettern zu können. Diese wohl einzigartige Darstellung des Kreuzigung strahlt eine fast heitere Atmosphäre aus und ist nicht mit naturalistischen Interpretationen zu vergleichen, welche die Qualen des Kreuzestodes betonen. Vielmehr wollte der Künstler hier die Gelassenheit und Entschlossenheit des Erlösungswerks Christi hervorheben.

Schon beim Betreten der Klosteranlage durch einen Torbogen gelangt man in einen ersten Garten, den ein uralter japanischer Kirschbaum beherrscht, der sich jahrein, jahraus im Frühling mit Blüten schmückt. Die oft schon betagten Benediktinerinnen pflegen, wie schon seit Jahrhunderten, einen großen Gemüsegarten nach dem Wahlspruch “Ora et labora”. In der Nähe des Kreuzgangs, der einen Ziergarten, einen “hortus conclusus”, umschließt, ruht die selige Beatrice d’Este. Nach frommer Meinung sondert die gewaltige Grabplatte aus Kalkstein ein heilendes Wasser ab, das die Nonnen an die Gläubigen verteilen.
Neben seiner besonderen künstlerischen Bedeutung ist “Sant’Antonio in Polesine” ein Ort der Stille und religiösen Einkehr, der seine geistigen Traditionen trotz Kriegszeiten, Plünderungen und der Einquartierung napoleonischer Soldaten seit dem Mittelalter gewahrt hat. Für die Einwohner von Ferrara ist das Kloster eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und eine Stätte kultureller Identität.


S.Antonio:Flucht nach Aegypten

Jesus steigt aufs Kreuz
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