Weiter geht es mit dem Minibus zum weitgehend verkehrsfreien Stadtzentrum und zum Dom, einem seit 1290 in mehreren Jahrhunderten errichteten Prachtbau der lombardischen Gotik, dessen Glanz an das sog. “Wunder von
Bolsena” erinnern soll: Während der Messfeier eines an seinem Glauben zweifelnden Priesters tropfte aus der Hostie Blut auf das Altartuch, das in einem reich verzierten Reliquiar, einem Meisterwerk der italienischen
Goldschmiedekunst, in einer Kapelle des Doms aufbewahrt wird. Von hervorragender Qualität sind insbesondere die fein gearbeiteten Marmorreliefs an der Fassade des dreigiebeligen Gotteshauses, welche auf 112 qm die Schöpfungsgeschichte (selten sieht man ein so hübsche Eva aus Stein!), die Erlösung und das Weltenende schildern.
Mit der Carta unica hat man freien Eintritt in die mit kostbaren Fresken ausgeschmückte “Cappella Nuova” (St. Britius-Kappelle) des Doms. Als Nachfolger von Fra Angelico und Benozzo Gozzoli hat hier der Renaissance-Künstler Luca Signorelli Figuren aus der Literatur- und Heilsgeschichte sowie das Wirken des Antichristen, die Schrecken des
Weltuntergangs und das Jüngste Gericht in üppiger Expressivität dargestellt. Danach kann man im nahen Archäologischen Museum “Claudio Faina” eine reiche Sammlung antiker Keramiken und Münzen sowie einen etruskischen Sarkophag besichtigen (montags geschlossen). Für einen
herrlichen Ausblick über die Stadt und die Berge Umbriens besteigt man schließlich die Torre del Moro.
Ein besonderes Erlebnis ist die Teilnahme an einer Führung durch Orvietos labyrinthische Unterwelt. Seit Urzeiten ist der Vulkankegel bebaut und gleichzeitig der aus lockerem Tuff und Lava-Asche bestehende Untergrund ausgehöhlt worden. Bis jetzt kennt man ca. 1.200 Kavernen, deren oft mit Abfall zugeschüttete Zugänge meist in Privatgrundstücke führen. Dieser in vielen Jahrhunderten angesammelte “Schutt” gibt wertvollen Aufschluss über
das Alltagsleben früherer Generationen. Da die Gefahr eines Einsturzes des Keller- und Höhlensystems nicht auszuschließen ist, besteht seit langem ein Grabungsverbot. Der in kommunalem Besitz befindliche Teil des Labyrinths ist jedoch abgesichert und kann mit den auch Deutsch und
Englisch sprechenden FührerInnen des ereins ‚Speleotecnica‘ (Tel./Fax: +39/0763/344891) besichtigt werden. Das Höhlensystem gibt einen hervorragenden Einblick in die Geschichte von Velzna – so hieß die Stadt zur Zeit der Etrusker (VII. – III. Jahrh. v.Chr.) – bis zu ihrer
Zerstörung durch die Römer im Jahre 264 v.Chr.; aus der lateinischen Bezeichnung “Urbs Vetus” (= Altstadt) leitet sich der heutige Ortsname Orvieto ab. Die Stadt gehörte 1449-1860 zum Kirchenstaat; in ihr residierten mehr als 30 Päpste.
Das von den Bewohnern vorrangig zu lösende Problem war der Wassermangel: Schon die Etrusker gruben bis zu 80 m tiefe Brunnen, die einen regelmäßigen rechteckigen Querschnitt in den Maßen 80 cm x 120 cm haben: 120 cm, um einem Brunnenbauer das Graben mit einer Spitzhacke zu ermöglichen; 80 cm, damit er mit gespreizten Beinen im Schacht stehen und aus diesem ans Tageslicht emporsteigen konnte. Bis jetzt wurde allerdings nicht geklärt, wie die Frischluftversorgung erfolgte. Auch im Mittelalter
wurden Brunnen angelegt, so der 62 m tiefe, selbst mit Tragtieren begehbare Pozzo di S. Patrizio, den Papst Clemens VII. von Antonio da Sangallo il Giovane 1528 anlegen ließ.
Die Kavernen selbst dienten u.a. als Weinlager und auch als Arbeitsräume für Ölmühlen und Ölpressen: Da die Oliven im Spätherbst reifen, ist die Ölgewinnung sehr erschwert, wenn infolge jahreszeitlich bedingter Kälte das Öl steif wird. In den Höhlen herrscht dagegen das ganze Jahr über eine
gleichmäßig milde Temperatur von 14°C; außerdem waren Heizstellen vorhanden.
Ein hervorragendes Zeugnis menschlichen Einfallsreichtums sind Tausende von Brutstellen zur Aufzucht von Tauben in den Kavernen an der Außenseite des Vulkankegels. Das Geflügel sicherte die Fleischversorgung der Bevölkerung insbesondere während einer Belagerung der Stadt, die infolge
ihrer Lage praktisch uneinnehmbar war und fast keiner Stadtmauern bedurfte. Die Tauben flogen durch schmale Durchlässe in das Umland und konnten sich dort auf den Feldern ernähren, ohne ihren Besitzern ein Futter abzuverlangen. Wenn sie dann gut gemästet waren, erwartete der Bratspieß das Federvieh. – Eine bislang letzte Verwendung fand Orvietos Untergrund während des Zweiten Weltkriegs als bombensicheres Lazarett.
Orvietos “Underground” mit seinen Taubenhäusern
Richard Brütting:
Orvieto (Terra Italia) - Orvieto ist eine gut organisierte "Città d’arte" der Spitzenklasse. Die "Kunststadt" liegt auf einem Vulkankegel, dessen
Abhänge fast senkrecht in die Tiefe abfallen. Man mag mit dem Auto oder mit der Bahn ankommen, unweigerlich gelangt man zu einer Verkaufsstelle, wo man für 20.000 Lire (17.000 Lire für Gruppen, Studenten, Senioren über 65) die "Carta Orvieto unica" erwerben kann; Auskunft erteilt: Ufficio
Informazione Turistica, Tel. +39/0763/341772 oder /341911. Ausgerüstet mit dieser Karte, gelangt man von einem weitläufigen Parkplatz bzw. vom Bahnhof per Aufzug in die Oberstadt.
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