Catania (TidPress) Wer mit dem Bus nach Librino hinein fährt, kann hier wenig Schönes finden: tristes Vorstadt-Panorama, menschenleere Straßen, kaum Grün – es erinnert so gar nichts an die prächtige Küstenstadt Catania mit ihrem Barockbauten und strahlenden Farben, dabei ist dieses Viertel doch Teil von ihr, wenn auch erst seit etwa 45 Jahren. Librino liegt süd-östlich vom Stadtzentrum und ist ein typisches Satellitenviertel. Mitte der Sechziger-Jahre begann man mit großen Plänen zu bauen und versprach ein modernes Wohnviertel mit weitreichender Infrastruktur, allem Komfort sowie Nähe zur Natur. Die Häuser wurden gebaut, alles andere grob vernachlässigt; heute gibt es für etwa 90.000 Bewohner gerade mal drei Bars und nur einen einzigen Supermarkt; ein Beispiel von misslungener Städteplanung, wie sie in so vielen Städten Italiens (und Europas) zu finden ist. Der Stadtteil, indem fast 18% der Jugendlichen Catanias zwischen 14 und 19 Jahren leben, gilt als Ghetto-Viertel, hat einen schlechten Ruf und eine hohe Kriminalitätsrate.
Rechter Teil der Mauer |
Hommage an die Mütter Librinos |
Und doch nennt sich der Grund, warum wir diesen Ort besuchen Porta di Bellezza – Tor der Schönheit. Bevor wir unser Ziel erreichen, halten wir noch für eine Kaffepause und werden prompt von einem freundlichen Polizisten angesprochen, ob wir uns verlaufen hätten. Touristen ist man hier nicht gewohnt, doch die Menschen reagieren neugierig und interessiert, nicht etwa ablehnend oder feindselig. Sie werden sich an das wachsende Interesse für ihr Stadtviertel gewöhnen denn Antonio Presti hat mit seinem Projekt TerzOcchio Merdidani di Luce Großes mit Librino vor. Der Kunstmäzen hat das Viertel ausgewählt, um es gemeinsam mit seinen Einwohnern zu verändern, aufzuwerten, ihm ein Gesicht zu geben; es zu verschönern. Hinter seinem Engagement steckt die Idee, dass die Schönheit eines Ortes Resultat der Schönheit seiner Bewohner ist. Je hässlicher der Ort, desto mehr Möglichkeiten gibt es also, dies zu beweisen.
In Librino soll im Laufe der nächsten Jahre ein „Museum der Vorstellungswelt“ entstehen, mit Fotoprojektionen von Gesichtern der Bewohner auf den Brandwänden ihrer anonymen Plattenbauten , und der Anfang ist bereits gemacht: Im Mai 2009 wurde eben jenes Tor der Schönheit eingeweiht, das auch uns heute nach Librino zieht: Es handelt sich um den Ausschnitt einer 3km langen Mauer aus Zement, welche das gesamte Viertel brüsk in zwei Teile zerteilt. Hier haben auf 500 Metern von Presti eingeladene nationale und internationale Künstler gemeinsam mit Studenten der Kunsthochschule Catania und mit insgesamt 2000 Kindern aller Schulen in Librino das „größte Kunstwerk aus Terrakotta der Welt“ erschaffen.
Mit dem Leitthema „Die große Mutter“ sind 13 einzelne Bildteile entstanden, die an der blau gestrichenen Mauer angebracht sind, immer im Wechsel mit Ausschnitten von Gedichten großer Dichter wie Dante, Dickinson und Goethe. Das warme Terrakotta-Braun entfaltet auf dem blauen Untergrund eine eindrucksvolle Leuchtkraft und ist schon von Weitem gut zu sehen. In den Kunstwerken spiegelt sich die Beschäftigung mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft, mit Fruchtbarkeit, Wachstum und Veränderung wider, Teil der Arbeiten sind außerdem die Mondphasen und Jahreszeiten, alle Bilder sind sehr symbolgeladen und haben eine starke metaphorische Ausdruckskraft, die auch oder gerade aus der Zusammenarbeit zwischen den Künstlern und den Kindern zu entstehen scheint.
In Librino ist ein wertvolles Geschenk von und für seine Menschen entstanden. „An Orten wie diesem kümmern sich die Leute oft nicht um das, was außerhalb ihrer Haustüre, ihres unmittelbaren Eigentums passiert“, erklärt uns ein Mitarbeiter Prestis, „doch wir wollen ihnen zeigen, dass das ganze Viertel Eigentum von allen ist“. Bis jetzt scheint dies zumindest in Teilen zu funktionieren: Auf dem Tor der Schönheit ist auch nach einem Jahr kein einziges Graffiti oder eine Kritzelei zu finden, für dieses Allgemeingut jedenfalls scheint sehr viel Respekt vorhanden zu sein.
INFO:
www.librino.org
28.05.2010
Entwurf von Michele Ciacciofera |
Librino hinter dem Tor |
„In mir waltet die Schönheit“
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