Venedig (TidPress) – Die Lagunenstadt ist heute vor allem für ihre großartige Architektur und die zahllosen Kanäle berühmt. Doch dass die Kirchen, Paläste und Wohnhäuser oft, zum großen Teil den Blicken durch hohe Mauern entzogen, wahre Kleinodien der gezähmten Natur in sich bergen, ist beinahe unbekannt. Ein ganz anderes Venedig, das der privaten Parks, der Klostergärten und der Friedhöfe – grüne Oasen, die von außen meistens nicht sichtbar sind und meistens nur mit Führungen besichtigt werden können.
In der fast 60 km langen Lagune von Venedig gibt es ungefähr 40 Inseln, einige sind nicht bewohnt, auf anderen steht nur ein Kloster, das oft als Krankenhaus diente. Hier wohnen seit dem Mittelalter Mönche, die sich ursprünglich niedergelassen hatten, um die Pestkranken zu pflegen, die auf den Inseln unter Quarantäne gestellt wurden.
San Giorgio Maggiore |
Chiesa delle Zitelle |
Die südlich von Venedig gelegene Giudecca- Insel, die durch den gleichnamigen Kanal (Canale della Giudecca) von der Lagunenstadt getrennt ist, liegt dem Markusplatz und dem Dogenpalast gegenüber. Ihre gleichmäßig verlaufende Entfernung beträgt ungefähr 300 Meter und die Fahrt vom Markusplatz dauert mit dem Vaporetto, dem öffentlichen Motorschiff, kaum mehr als drei Minuten.
Auf der Giudecca-Insel, befindet sich hinter der Kirche Del Redentore, dem wohl schönsten und imposantesten Bauwerk Palladios, das 1576 als Votivkirche zum Ende der Pest errichtet wurde, ein Kloster, das von Franziskaner-Mönchen bewohnt wird. Der Klostergarten, in dem Obstbäume, verschiedene Kräuter- und Gemüsearten, sowie Weinreben und Olivenbäume dank der emsigen Pflege der Mönche wachsen und gedeihen, ist eine Oase der Ruhe und des Friedens, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Die Mönche legen noch viel Wert auf ihre Abgeschiedenheit und wollen keinen Massentourismus.
Andere Inseln der Lagune, auf denen man ähnliche Klöster mit versteckten Gärten finden kann, sind zum Beispiel San Francesco del Deserto, wo der Heilige Franziskus auf der Rückreise von Palästina geweilt haben soll, San Lazzaro degli Armeni, dessen Kloster eine wunderschöne Bibliothek beherbergt und San Servolo, wo bis zum Ende der 70er Jahre das Irrenhaus war und heute ein Forschungsinstitut und die Venice International University ist.
Die Insel Giudecca ist historisch-kulturell von Venedig zu unterscheiden. Die Römer ließen sich hier nieder um den Barbaren im Norden zu entfliehen und legten in dem damaligen Sumpfgebiet in kurzer Zeit ungefähr 6000 Trinkwasser-Zisternen an. Man rätselt heute noch über die Herkunft des Namens der Insel. Im frühen Mittelalter hatte sich der Name „Spinalonga“ (lange Gräte) eingebürgert, weil sie aus der Vogelperspektive die Form einer Fischgräte hat.
Zur Herkunft des bis heute gültigen Namen „Giudecca“ gibt es zwei verschiedene Versionen. Eine behauptet, die Insel sei nach den Juden (giudei) benannt worden, die sich dort niedergelassen hatten, da ihnen anstatt in Venedig in der Insel vor der Stadt zu siedeln erlaubt worden sei. Die Frage, ob im Namen der Insel Giudecca sozusagen der frühere Siedlungsraum dieses ersten jüdischen Ghettos Venedigs war, ist bis heute strittig. Die andere Erklärung für die Herkunft des Inselnamens knüpft an die wegen kleinerer Vergehen Verurteilten (giudicati) an. Da Sträflinge in frühmittelalterlicher Zeit auf das von der Stadt abgegrenzte Eiland verbracht worden seien, könnte es sich in diesem Falle um eine Art Verbannungsinsel gehandelt haben. Auch Michelangelo hatte zwischen 1529 und 1532 drei Jahre auf der Giudecca in einer Art freiwilligen Exils gelebt.
Um die Jahrhundertwende war die Insel noch hauptsächlich von Fischern bewohnt, während sie später vor allem im westlichen Teil mit Werften und Fabriken zu einem Industriegebiet wurde. Die westliche Giudecca-Kanalzone wurde zum neuen Wirtschaftszentrum und hier ließ der Schweizer Industrie-Unternehmer Giovanni Stucky 1876 auf dem Grund einer einstigen Klosteranlage eine Dampfmühle und Nudelfabrik errichten. Der deutsche Architekt Ernst Wullekopf entwarf 1895 einen gigantischen achtstöckigen Industriekomplex in norddeutscher Backsteingotik. Das Molino Stucky war bis zu Beginn des zweiten Weltkrieges die größte Nudelfabrik Italiens. Nach Jahren der Leerstands und des Verfalls begann man Ende des 20.Jahrhunderts die Mühle zu Kultur- und Ausstellungszwecken umzubauen. Diese Arbeiten wurden 2003 durch einen Großbrand unterbrochen und das Gebäude darauf von der Hotelkette Hilton gepachtet. Hier wird im Juni 2007 das neue Hilton Hotel „Molino Stucky“ eingeweiht, 380 Zimmer, 5 Restaurants, ein Spa-Bereich von 600 qm und eine Dachterrasse, von der aus man einen atemberaubenden Blick auf Venedig und seine Wasserwege hat.
Heute wird die Giudecca-Insel auch mehr und mehr als Wohngebiet geschätzt, da man sich hier abseits vom großen Touristentrubel Venedigs befindet und außerdem sind die Immobilien hier noch um einiges günstiger.
An bedeutenden Gebäuden findet man außer der Kirche Il Redentore, wo man Werke von Paolo Veronesi und Tintoretto bewundern kann, die Kirche Sant’Eufemia aus dem 9.Jahrhundert, eine der ältesten Kirchen Venedigs, und die Chiesa delle Zitelle, der unverheirateten Frauen. Die Kirche San Giorgio Maggiore liegt auf einer kleinen Insel gegenüber der östlichen Spitze der Giudecca, wo auch das Orientexpress-Hotel Cipriani, Venedigs luxuriöseste Unterkunft, steht.
01.04.2007
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Kirche Il Redentore: Klostergarten |