Plan, s.u.) Noto und Syracus nicht zu Gesicht bekam, hat er sehr wohl das
nördlich von Vicenza gelegene Städtchen Thiene besucht. Er schrieb am 22.
September 1786: “Heute früh war ich in T[h]iene, das nordwärts gegen die
Gebirge liegt, wo ein neu Gebäude nach einem alten Risse aufgeführt wird
[…]. So ehrt man hier alles aus der guten Zeit und hat Sinn genug, nach
einem geerbten Plan ein frisches Gebäude aufzuführen. Das Schloß liegt
ganz vortrefflich in einer großen Plaine, die Kalkalpen ohne
Zwischengebirg hinter sich.”
Thiene versteht sich als eine Stadt “im menschlichen Maßstab”
(www.comune.thiene.vi.it; E-Mail: info@comune.thiene.vi.it). Als
Teilnehmer der 5. Tourismus-Börse von Ferrara hatte ich Gelegenheit, eine
Exkursion in diesen vortrefflichen Ort zu machen, der sich seinem
geschichtlichen Erbe mit großer Hingabe widmet. Insbesondere der
historische Markt, der auf eine Konzession des Dogen von Venedig aus dem
Jahre 1492 zurückgeht, wird am ersten Oktober-Wochenende unter großer
Anteilnahme der Bevölkerung in historischen Kostümen begangen.
Berühmt sind die Villen im Umkreis von Thiene, so die neoklassische Villa
Capra Bassani (1764) und die mit herrlichen Fresken geschmückte Villa Godi
Malinverni, die 1542 von Andrea Palladio errichtet wurde, als der junge
Architekt entscheidende Schritte zu einer neuen Raumaufteilung und zur
Einbeziehung der Natur tat, sich aber noch nicht an römischen Bauwerken
orientierte. Die Villa beherbergt auch ein bedeutendes Fossilien-Museum,
u.a. mit der größten versteinerten Palme Europas. Luchino Visconti drehte
1954 in diesem Ambiente seinen Film “Senso”.
Ein schlank in den Himmel ragender Stadtturm und die Kuppeln des Doms und
anderer Kirchen blicken auf eine geschäftige Stadt, die bis heute vom sog.
“Schloss” der Grafen von Thiene geprägt ist. Eigentlich geht es um die
prächtige Villa Porto-Colleoni-Thiene, die in der Mitte des 15.
Jahrhunderts erbaut und später mehrfach erweitert wurde. Der Kaminsaal
(Camerone del Camino) ist mit Fresken von Zelotti und Fasolo zur römischen
Geschichte geschmückt. Von eigenartiger Eleganz sind die prunkvoll
ausgestatteten Stallungen, in denen die Pferde einst wie Kunstwerke zur
Schau gestellt wurden. Mit Putten gekrönte Steinsäulen trugen an kunstvoll
geschmiedeten Halterungen die Geschirre der vornehmen Tiere.
Selbstverständlich fehlt es in Thiene nicht an kulturellen
Veranstaltungen, für die ein dekoratives Jugendstil-Theater zur Verfügung
steht. Ebensowenig mangelt es an Speis und Trank: In der Umgebung werden
die Weine von Breganze gekeltert, und auf der nahen Hochebene stellt man
den außergewöhnlich schmackhaften Asiago-Käse in verschiedenen Reifestufen
her. Ich konnte diese Köstlichkeiten in einem mächtigen unterirdischen
Kuppelbau probieren, der in früheren Zeiten als Eiskeller genutzt wurde.
Ein eindrucksvolles geschichtliches Zeugnis für die handwerkliche
Geschicklichkeit der Bewohner des Hinterlands von Vicenza ist ein mit
Wasserkraft betriebenes Hammerwerk (“Il Maglio di Breganze”) aus dem 16.
Jahrhundert. Es ist noch voll funktionsfähig und wurde mitsamt seinen
einfallsreichen Einrichtungen, Werkzeugen und Produkten zu einem ‚aktiven‘
ethnographischen Museum für vorindustrielle Technologien ausgebaut. Angelo
Giusto Tamiello, der letzte berufsmäßige Schmied, hat sich fürsorglich und
erfolgreich um den Erhalt der seit dem Ende 18. Jahrhunderts im Besitz
seiner Familie befindlichen Anlage bemüht. Sein Sohn Bruno führte uns
bereitwillig die Verrichtungen an Esse, Amboss, Eisenhammer und
Schleifstein vor.
Wo lässt es sich gepflegt in Thiene speisen? Zu empfehlen ist das “Menù
Tipico” im Restaurant “Corte di Belo”, wo man u.a. Polenta mit Stockfisch
versuchen kann. Dieses Gericht mundet insbesondere dann, wenn es von
Signor Alfredo Pelle, dem sachkundigen Sekretär der “Ehrwürdigen
Bruderschaft des Stockfischs nach Vicentiner Art”, humorvoll kommentiert
wird. – Aber warum sollte man nicht wie weiland Herr Goethe auch einmal
beim Grafen von Thiene einkehren? Er stellte in diesen Tagen erstmals die
Loggia seines Schlosses für ein Dîner im Stile der Renaissance zur
Verfügung und war persönlich während des Festmahls anwesend.
Schon am Schlosstor wurden die Ankömmlinge von Spalier stehenden
‚Adeligen‘ in historischen Kostümen empfangen, zuvörderst aber von einem
Albino-Windhund, der die Gäste vor lauter Noblesse nur desinteressierter
Blicke würdigte. Sofort nach den Mühen der Empfangszeremonie streckte sich
das edle Geschöpf in voller Länge zu einem wohlverdienten Schläfchen aus.
Während im Hintergrund die italienischen und französischen Madrigale und
Kanzonen eines Renaissance-Chors erklangen, wurden zu Speisen nach alten
Rezepten – Salbei-Omeletts, im Teigmantel fritierter Lauch, herzhaft
gewürzte Geflügelleber-Spieße, mit Knoblauch gebratenes Ziegen- und
geschmortes Kaninchenfleisch, in Rotwein gedünstete Birnen, Kirschtorte
mit Blütenblättern roter Rosen – die herrlich duftenden Weine der Gegend
gereicht: zunächst ein Vespaiolo Spumante und ein kräftiger Gruaio, dann
ein Marzemino (diese Sorte stammt aus dem Raum Thiene und ist später ins
Trentino ‚ausgewandert‘) und schließlich der feine Dessertwein Torcolato.
– Es ist vorgesehen, diese Premiere einer “Cena Rinascimentale”
gelegentlich zu wiederholen, in der Hoffnung, dass sich dann
zahlungskräftige Gäste verwöhnen lassen.