Das urtümliche Schauspiel der “spocciatura” (Entwöhnung, Absetzen) fand in diesem Jahr am 6. Oktober statt. Es vollzieht sich folgendermaßen: Etwa 200 Kühe werden mit ihren Kälbern in einen Pferch zusammengetrieben, der
zwei verschließbare Tore hat, von denen eines in das Gehege für die Kühe und eines in das für die Kälber führt. Ein halbes Dutzend “Butteri” – so heißen die berittenen Cowboys der Maremma – trennt nun eine Kuh nach der anderen von ihrem Kalb und treibt die Tiere durch das jeweilige Tor. Diese nicht ungefährliche Arbeit zieht sich mehrere Stunden hin und ist nur zu Pferd möglich, da die Kühe ihre Kälber zu verteidigen suchen. Würde man sich ihnen zu Fuß nähern, würden einen die Kühe mit ihren weit ausladenden Hörnern in Form einer Leier unweigerlich angreifen.
Die weißen Maremma-Rinder, die in der Völkerwanderung von den Langobarden aus der ungarischen Pusta oder aus noch weiterer Entfernung, nämlich aus Asien, nach Italien mitgebracht worden sein sollen, haben keinen Kontakt
mit anderen Rassen und weiden immer im Freien. Durch natürliche Auslese sind sie besonders widerstandsfähig gegen ansteckende Krankheiten geworden; insbesondere die BSE-Krankheit ist bei ihnen unbekannt, da die Tiere noch nie mit industriellen Futtermitteln ernährt worden sind. Ihr
sehr zartes, schmackhaftes Fleisch, das die Gäste der “spocciatura” nach einem Konzert mit Vivaldis “Vier Jahreszeiten” bei einem abendlichen Festbankett in Form eines Bratens kosten konnten, wird bisher jedoch kaum
vermarktet.
Auf der 40 qkm großen Musterfarm “Azienda regionale agricola di Alberese” leben etwa 120 Pferde und 500 Rinder, die Tag für Tag von den “Butteri” versorgt werden, was angesichts des sumpfigen Geländes kaum mit Traktoren
oder Geländewagen bewerkstelligt werden kann. Die Cowboys stellen im Frühjahr Gruppen von Kühen bzw. Stuten zusammen,
denen jeweils ein männlicher Artgenosse beigesellt wird, der für Nachwuchs zu sorgen hat. Da die “Butteri” jedes einzelne Tier kennen, wissen sie, in welchem Verwandtschafts-Verhältnis sie zueinander stehen und können so Inzucht vermeiden.
Touristen können von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr mit den “Butteri” ausreiten und an deren Arbeiten teilnehmen (Voranmeldung bei der Azienda regionale agricola di Alberese Centro Aziendale di Spergolaia, Tel./Fax:
0039-0564407077 / 407180. Kosten: 75.000 Lire pro Person; Ermäßigung um 10.000 Lire, wenn man Gast in einer Ferienwohnung der Farm ist – mehr dazu in Terra Italia Newsletter 5/2000).
“Wenn die Kühe Trauer tragen” – auf der Musterfarm von Alberese
Richard Brütting:
Grosseto (Terra Italia) – Kühe können trauern? Es klingt unwahrscheinlich, aber die Kühe von Alberese beginnen buchstäblich zu "weinen", wenn sie bei der alljährlichen "spocciatura" von ihren Kälbern getrennt werden.
Tagelang ist danach im Naturpark der Maremma ein herzzerreißendes Muhen zu hören.
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