Terra Italia

Winterferien im Trigno-Tal

Paolo Gianfelici

Vom botanischen Garten mediterraner Prägung in San Salvo bis hin zu den verschneiten Gipfeln des Alto Molise. Der Charme von Trivento, einem entlegenen Dorf im Mezzogiorno. Die Glockengießerei von Agnone.


Alto Molise (Foto P.Gianfelici)

Der Hirtenpfad (Foto Proloco Agnone)

Agnone (Terra Italia) – Der Reiseweg durch das Trigno-Tals, der bei dem am Adriastrand gelegenen San Salvo in den Abruzzen seinen Ausgang nimmt und bis nach Agnone in den Bergen des Alto Molise führt, weist je nach Jahreszeit einen ganz eigenen Charme auf. Da der Winter 2003 bis 2004 in diesem Teil des Apennin besonders schneereich ausfällt, zieht es den Besucher zu den Langlaufpisten in Capracotta, die zu den besten Italiens gehören, und er verspürt auch Lust, die Spezialitäten der Küche und die dazugehörigen Weine dieser beiden Gegenden zu kosten, die so gut zu dem strengen Klima der jetzigen Monate passen.

Ausgangspunkt ist das an der Küste gelegene San Salvo. Hier wurde vor kurzem ein großer botanischer Garten mediterraner Prägung angelegt, wo man zwischen Vögeln und seltenen Pflanzen auf goldgelbem Sand Spaziergänge machen kann. Der erste Teil des nach dem Fluss Trigno benannten Tales ist weitläufig und leicht hügelig. Vor zweitausend Jahren entstand hier eine blühende Landwirtschaft. Die römische Villa, deren Überreste auf der Piazza der Gemeinde San Salvo zu finden sind, war ein landwirtschaftlicher Betrieb bemerkenswerten Ausmaßes. Man baute Weizen, Zweikorn und Wein an und war Lieferant für Schaffleisch und Wolle. Jetzt, im Monat Dezember, bedeckt rotes Blattwerk die sanften Hügel. Was von weitem wie dichte Teppiche anmutet, sind die Weinberge des Montepulciano d’Abruzzo mit seiner blauen Traube und die des Trebbbiano mit der weißen Traube. In den letzten Jahren haben die Weine der Abruzzen enorm an Qualität gewonnen. So wurden aus hochprozentigen Weinen nun kräftige, aber fruchtige Weine, die hervorragend zu solchen Gerichten wie der „Ventricina“ passen, einer Wurst nach althergebrachter Rezeptur, bei der besondere Teile des Schweinefleischs verarbeitet werden. Dabei wird das Fleisch nicht durch gemahlen, sondern die einzelnen Stücke werden nur zusammengepresst und danach mit „Peperoncino“ (Chili, scharfer Paprika), wildem Fenchel und anderen Gewürzen abgeschmeckt.
Die Azienda Triveri (www.triveri.it) hat es sich zum Ziel gesetzt, die traditionelle Küche der Abruzzen mit ihre besonderen Geschmacksrichtung zu erhalten. Die in Öl eingelegten Artischocken, Pilze, kleinen, grünen Tomaten, Auberginen und wilden Zwiebeln („lampacioni“) sind von intensivem Geschmack und Duft, und man kann sie in keiner Weise mit den anonymen Konserven des Supermarkts vergleichen.

Das Dorf Trivento liegt auf einem Berggipfel in Molise, der wohl am wenigsten erschlossenen Gegend Italiens. Man erreicht es mit dem Bus oder dem Auto, parkt, und nach einem Fußmarsch von dreihundertfünfundsechzig Stufen durch den antiken Ort gelangt man zur Kathedrale, zur frühchristlichen Basilika, zum Diözese-Museum und schließlich zu dem Aussichtspunkt, der ein Panorama über die unglaublich wilde Tal-Ebene freigibt. Da verbietet sich jeder Vergleich mit den Dörfchen in der Toskana, in Umbrien oder den Marken. Hier hat die Macht der Herzöge und der Bischöfe (In Trevento befindet sich einer der ältesten Bischofssitze der Welt) den Geist einer strengen Architektur hervorgebracht, eine urbanistische Struktur für Untertanen, nicht für Bürger. Die große Faszination, die von Trivento ausgeht, liegt darin, auch heute noch genau das gleiche äußere Erscheinungsbild wie vor der Einheit Italiens vorzufinden. Ein Marktflecken, bewohnt von Bauern, Handwerkern und Priestern, der auf wundersame Weise unversehrt geblieben ist, nicht entstellt durch Bausünden, den Verfall der Zeit, Vernachlässigung oder den Folgen der Emigration.
Ich empfehle Ihnen die Einkehr im Ristorante Saxum (in der Nähe des Aussichtspunktes) wo Sie den Bauernschmaus (merenda del contadino) probieren sollten, ein großes hausgemachtes Rundbrot, gefüllt mit Wurst und scharfen Peperoni. Wer über mehr Zeit verfügt, dem dürfte folgendes Mahl schmecken: eine Suppe aus Kichererbsen, Karotten, Lauch und Zichorie; ein hausgemachtes Nudelgericht namens „sagne“ mit süßen Zwiebeln und Chilischoten; kleine Ravioli mit dem köstlichen schwarzen Trüffel; Lamm im Backofen und Stockfisch (baccalà) im Backofen.

Agnone (in 840 Metern Höhe mit 6200 Einwohnern) liegt an der Kreuzung von vier Bergwegen, den uralten Hirtenpfaden, auf denen einstmals im Herbst Millionen von Schafen zu den Weiden in Apulien getrieben wurden. Der Ort gleicht einer alten Handwerkersiedlung. Er verdankt dies den Hunderten von venezianischen Handwerksmeistern, die als Goldschmiede, bei der Kupferbearbeitung oder in anderen Handwerksberufen tätig waren. Sie gelangten im Mittelalter als Einwanderer nach Agnone und übten ihre Kunst bis zur Einheit Italiens aus. Danach machte ihnen die Konkurrenz aus den Industriebetrieben des Nordens den Garaus. Was findet sich heute noch von dieser fast verschwundenen ruhmvollen Kunst? Nun, die Päpstliche Gießerei Marinelli, die im 18.Jahrhundert die Glocken vom Petersdom in Rom und vor kurzem die Glocken des Jubiläumsjahres 2000 hergestellt hat. Hochinteressant ist die Besichtigung des historischen Glockenbaumuseums und der Glockengießerei, wo nach jahrhundertealten traditionellen Verfahrensweisen Glocken hergestellt werden, deren Klang den zwölf Tönen der chromatischen Tonleiter folgt.
Ein Spaziergang durch Agnone beginnt bei einer seiner fünf Tore und führt an der Mutterkirche S.Marco entlang, die von den Venezianern gebaut wurde. Weiter geht er vorbei am ehemaligen Franziskanerkloster, heute Bibliothek und Städtisches Museum, und am Literaturcafé und endet schließlich in irgendeinem Restaurant des Ortes, wo man die einheimischen Spezialitäten kosten kann. Dazu gehören vor allem Milchprodukte wie der „Ricotta“, eine Frischkäseart, der frische oder gereifte „Caciocavallo“ und die „Stracciata“, ein etwas säuerlicher Käse. Wer sich auch noch zu Hause am Geschmack dieser Käsesorten erfreuen möchte, dem sei ein Besuch in der Käserei Caseificio Di Nucci di Agnone angeraten, wo seit zehn Generationen nur einheimische frische, d.h. rohe Kuhmilch auf traditionelle Art verarbeitet wird.
Bevor man aber dieses Dorf im Apennin verlässt, sollte man sich auf jeden Fall noch zur Hochebene begeben, die den Ort umgibt. Der Blick weilt auf dichten Wäldern aus Buchen, Eichen, Zerreichen und Weißtannen und schweift weiter zu weiten Wiesenflächen, wo ab und zu ein Wolf und viele Wildpferde ihr Zuhause gefunden haben.


Agnone (Foto Proloco)

Die Päpstliche Glockengießerei
Marinelli (Foto P.Gianfelici)
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